Handout 3.6: Bundesverwaltungsgericht betont Spielraum der Schule

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Die Familie Alisas strengte ein Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht an, welches jedoch in letzter Instanz das Urteil des VGH Kassel bestätigte. In der Urteilsbegründung gehen die Richter u.a. darauf ein, dass die Schule ihren Bildungs- und Integrationsauftrag in einer pluralistischen Gesellschaft nur erfüllen könne, wenn sie entsprechenden Spielraum erhalte:

Das Grundrecht auf Glaubensfreiheit wird (…) durch die Eigenständigkeit der staatlichen Wirkungsbefugnisse im Schulbereich relativiert (…) Diese erklärt sich – und bezieht ihre innere Legitimation – aus der Bedeutung der Schule für die Entfaltung der Lebenschancen der nachwachsenden Generation und für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Die Schule soll allen jungen Bürgern ihren Fähigkeiten entsprechende Bildungsmöglichkeiten gewährleisten und einen Grundstein für ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben legen. Zugleich soll sie, unter den von ihr vorgefundenen Bedingungen einer pluralistisch und individualistisch geprägten Gesellschaft, dazu beitragen, die Einzelnen zu dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewussten „Bürgern“ heranzubilden und hierüber eine für das Gemeinwesen unerlässliche Integrationsfunktion erfüllen (…) Für die Ausfüllung seiner Rolle ist der Staat darauf angewiesen, das Bildungs- und Erziehungsprogramm für die Schule grundsätzlich unabhängig von den Wünschen der beteiligten Schüler und ihrer Eltern anhand eigener inhaltlicher Vorstellungen bestimmen zu können. (…) Die verfassungsrechtlich anerkannte Bildungs- und Integrationsfunktion der Schule würde nur unvollkommen Wirksamkeit erlangen, müsste der Staat die Schul- und Unterrichtsgestaltung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner der Vorstellungen der Beteiligten ausrichten (…) Die Schule wäre dann durch kollidierende Erziehungsansprüche Einzelner und grundrechtliche Vetopositionen vielfach blockiert (…).

Das Tragen eines Burkini sei der Klägerin zumutbar. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es dazu:

„Das Grundrecht der Glaubensfreiheit vermittelt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter – einschließlich solcher auf dem Gebiet der Bekleidung – konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule an vielen Orten bzw. zu bestimmten Jahreszeiten im Alltag verbreitet sind. Die Schulpflicht steht nicht unter dem Vorbehalt, dass die Unterrichtsgestaltung die gesellschaftliche Realität in solchen Abschnitten ausblendet, die im Lichte individueller religiöser Vorstellungen als anstößig empfunden werden mögen.“

https://www.bverwg.de/rechtsprechung; im Register „Urteile und Beschlüsse“ in der Suchfunktion das Aktenzeichen des Urteils eingeben: BVerwG 6 C 25.12 (11.09.2013). – Abruf am 05.07.2021.