Sequenz 4: Weshalb sind Menschenrechte wichtig?

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Weshalb brauchen wir Rechtsnormen zum Schutz verwundbarer Menschen und ihrer Menschenrechte?19

Ziele

Die Lernenden können Probleme und Konflikte erläutern, wenn Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und Lebensweisen versuchen zusammen zu leben.

Die Lernenden können erläutern, weshalb Instrumentarien zur Durchsetzung der Menschenrechte auf internationaler Ebene entwickelt wurden, insb. Zum Schutz verwundbarer Individuen und Gesellschaften.

Aufgaben Die Lernenden

  • analysieren vorgegebene Problemsituationen und gewichten sie nach ihrer Dringlichkeit;
  • inszenieren im Rollenspiel Verhandlungen zwischen gegnerischen Parteien;
  • werten das Rollenspiel aus. Sie bestimmen Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens und vergleichen diese mit den Menschenrechten;
  • vergleichen das im Rollenspiel simulierte Inselszenario mit realen Fällen von Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land.
  • gestalten für andere Lernende Präsentationen zu ausgewählten Menschenrechten in der EMRK.
Medien und Hilfsmittel

Klassensätze der Handouts 3.4 (Inselszenario),3.5 (Situationskarten) und 3.6 (Der Kern der Menschenrechte)

Flipcharts, Bildmaterial, Schere, Kleber, Marker (Abschlusspräsentation zu den Menschenrechten)

Methoden

Kritisches Denken

Plenumsdiskussion

Verhandlung (Plenum, Kleingruppen)

Partnerarbeit, Gruppenarbeit und -präsentation

 

Information: Die Europäische Konvention der Menschrechte (EMRK20)

Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde in Kraft gesetzt, um die Rechte von Menschen zu schützen, denen Grundrechte, z.B. das Recht auf Leben, Glaubensfreiheit oder auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz verweigert wurden. Alle Mitgliedsstaaten des Europarates haben sich aus Respekt gegenüber ihren Bürgern und Bürgerinnen verpflichtet, die Artikel der Konvention zu befolgen. Jeder Staat muss der internationalen Gemeinschaft über die Situation der Menschenrechte in seinem Hoheitsgebiet Rechenschaft ablegen. Bürgerinnen und Bürger können vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen, wenn sie meinen, dass ihr Land ihre Menschenrechte verletzt. Ein Staat kann auch gegen einen anderen Staat Beschwerde wegen eines Verstoßes gegen die Menschenrechte einreichen, was jedoch nur selten geschieht.

Die Europäische Menschenrechtskonvention orientiert sich eng an der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte21, die nach den Völkermorden im Zweiten Weltkrieg beschlossen wurde.

Verlauf der Sequenz

Die Lehrperson führt die Klasse in das Szenario des Rollenspiels ein und macht die Klasse mit den Rollenbeschreibungen der beiden Gruppen vertraut (siehe Handout 3.4). Zunächst beschreibt sie die Insel und zeigt den Lernenden eine Kartenskizze (z.B. mit Tafel, Flipchart, Tablet) und die Menschen, die schon seit Generationen dort leben.

Dann erzählt sie, dass eine andere Gruppe auf der Insel angekommen ist und sich niederlassen will. Die Lehrperson verdeutlicht, dass diese Menschen sich in ihrer Lebensweise und ihren Einstellungen deutlich von der eingeborenen Bevölkerung unterscheiden. Anschließende teilt die Lehrperson die Klasse in zwei gleich große Gruppen ein. Eine Gruppe übernimmt die Rolle der Inselbevölkerung übernehmen, die andere jene der Siedlerinnen und Siedler. Zur Bearbeitung der Probleme und Konflikte, die im Szenario angelegt sind, werden im Folgenden zwei Möglichkeiten vorgestellt. Für Klassen, die handlungsorientierte Methoden kennengelernt haben, empfiehlt sich Methode 1; für Klassen, die eher formale Lehrgänge gewohnt sind, wird Methode 2 angeboten.

Methode 1: Rollenspiel

Die Lernenden bilden Zweiergruppen, in den einer von ihnen sich in die Rolle eines Inselbewohners, die andere in die Rolle einer Siedlerin versetzt. Sie arbeiten mit den Rollenkarten (Handout 3.4) und den Situationskarten (Handout 3.5). Sie befassen sich mit jeder einzelnen Situation, die auf den Karten beschrieben ist, wobei sie die Situation aus der Perspektive ihrer Gruppe betrachten. Mit dieser Aufgabe bereiten sie sich auf die Verhandlungen vor, die zwischen den beiden Gruppen stattfinden werden – dabei wird im Rollenspiel angenommen, dass es keine Sprachbarriere gibt. Die Zweiergruppen versuchen, zu einer gemeinsamen Einschätzung zu kommen:

  1. Was sind die dringlichsten Probleme für unsere Gruppe?
  2. Was wollen wir in der Verhandlung erreichen?

Anschließend leitet die Lehrperson zur Verhandlungsphase im Rollenspiel über. Je eine Zweiergruppe von Inselbewohnern und von Siedlern verhandeln miteinander, so dass alle neu gebildeten Vierergruppen Verhandlungsgespräche führen und versuchen, eine Einigung zu erzielen, in der die dringendsten Anliegen beider Seiten berücksichtigt sind und Grundsätze ihres künftigen Zusammenlebens festgelegt sind.

Die Lehrperson erinnert die beiden Gruppen vor ihren Gesprächen daran, dass es den Inselbewohner/innen wohl am liebsten wäre, wenn die Neuankömmlinge die Insel wieder verließen, da sie ihre ganze Lebensweise in Gefahr sehen. Auf der anderen Seite fühlen sich die Siedlerinnen und Siedler an ihrem neuen Ort sehr wohl, und wären wohl bereit Gewalt anzuwenden, um bleiben zu können.

Die Lehrperson bittet die Vierergruppen, sich zunächst auf die dringlichsten Probleme, vor denen die Gruppen stehen, zu einigen und an diesen zu arbeiten. Die weiteren Punkte sollten in einer Rangfolge abnehmender Dringlichkeit behandelt werden, soweit die Zeit es erlaubt.

Methode 2: Angeleitete Diskussion

Ein Rollenspiel dürfte einen höheren Lernertrag ermöglichen, jedoch ist ein guter Lernzuwachs auch für jene Lernenden realisierbar, die das Rollenspiel nicht kennen. Die eine Hälfte der Klasse nimmt die Perspektive der Inselbevölkerung ein, die andere Hälfte versetzt sich in die Perspektive der Siedlerinnen und Siedler. Im Handout 3.5 wird jede Situation aus beiden Perspektiven beschrieben.

In Partnerarbeit bestimmen die Lernenden, welche Fragen aus ihrer Gruppenperspektive am dringlichsten sind und wie sie am besten gelöst werden könnten. Die Lehrperson weist die Lernenden darauf hin, dass zwar es eine „gerechte“ oder „ideale“ Lösungsmöglichkeit für jedes Problem gibt, in der Realität und in der Geschichte jedoch ungleiche Machtverhältnisse oft dazu führen, dass sich eine Seite mit ihren Vorstellungen eher durchsetzen kann.

Es sind folgende Varianten möglich, um die nun anstehenden Verhandlung zu führen:

  • Jede Einzelsituation wird nacheinander im Plenum behandelt. Die Lehrperson leitet die Diskussion im Plenum. Jede Seite erhält das Wort, um ihren Standpunkt darzulegen. Falls erforderlich, vermittelt die Lehrperson zwischen den Parteien und schlägt einen Kompromiss vor. Die Beteiligung der Lernenden lässt sich steigern, indem jede neue Verhandlungsrunde von zwei Schülertandems eingeleitet wird, die vor der Klasse den Standpunkt ihrer Gruppe zur anstehenden Frage vortragen.
  • Zwei Schülertandems, die jeweils eine Seite vertreten, verhandeln über die Lösung einer Problemsituation.

Auswertung der Verhandlungen nach Methode 1 und 2

Die Lehrperson kann die Auswertung der Verhandlungen mit den folgenden Impulsfragen anstoßen und strukturieren:

  • Empfandet Ihr die Verhandlungen leicht oder schwierig? Warum?
  • Hat jede Seite in den Verhandlungen erreicht, was sie wollte?
  • Hat sich eine Seite in den Verhandlungen eher durchsetzen können? Aus welchem Grund?
  • Konnte eine Seite in den Verhandlungen sich auf stärker moralisch begründete Rechte berufen?
  • Wie wird für die beiden Gruppen die Zukunft auf der Insel vermutlich aussehen?
  • Wie ließe sich verhindern, dass eine Gruppe die andere unterwirft?

Erstellt im Plenum eine Aufzählung der Regeln und Prinzipien, die den beiden Gruppen helfen könnten, friedlich auf der Insel zusammen zu leben. Vergleicht Eure Auflistung mit Handout 3.6 („Der Kern der Menschenrechte“). Welche Bestimmungen könnten verhindern, dass Menschen, die sich in der Situation der Inselbewohner und –bewohnerinnen befinden, ihr Land, ihre Lebensart und ihre elementaren Menschenrechte aufgeben müssen?

Die Lehrperson macht darauf aufmerksam, dass das Insel-Szenario auf zahlreichen historischen Beispielen beruht; so kolonisierten z.B. britische Siedler Australien oder Europäer unterwarfen ganz Nord- und Südamerika als Kolonien. Zu jener Zeit bestanden keine Rechtsnormen zur Durchsetzung der Menschenrechte, und die Menschenrechte der indigenen Völker wurden massiv verletzt. Ähnliche Menschenrechtsverletzungen finden auch heute noch statt, wie es etwa das Schicksal der südamerikanischen Ureinwohner zeigt, deren Land enteignet wird, damit internationale Firmen auf ihrem Gebiet Bergbau betreiben oder die Regenwälder roden können.

Die Bedeutung der Menschenrechte wertschätzen

Zum Abschluss dieser Einheit stellt die Lehrperson den Lernenden die Aufgabe, in Gruppenarbeit ein Menschenrecht aus der europäischen Konvention (EMRK) auszuwählen, das im Laufe dieser Einheit thematisiert wurde. Die Lernenden gestalten eine Fahne, das dieses Menschenrecht visualisiert oder symbolisiert und bereiten eine Präsentation zu dessen Bedeutung vor. Denkbar ist auch, dass einige Lernende Szenen aus dem Rollenspiel der Inselbewohner und –bewohnerinnen zeichnen, um die Probleme des Menschenrechtsschutzes in ihrer Dringlichkeit darzustellen. Diese könnten dann den Mitschülern, Parallelklassen oder sogar der ganzen Schule gezeigt werden. So könnte die Einheit, falls Zeit vorhanden ist und die Lernenden interessiert sind, zu einem Folgeprojekt führen. Zur Planung eines Folgeprojekts vgl. Sequenz 4 in der Einheit 7 (Medien).

19. Diese Sequenz basiert auf einem Entwurf der Citizenship Foundation, London.
20. Siehe https://www.echr.coe.int/Pages/home.aspx?p=basictexts/convention (Abruf am 18.06.2020).
21. https://unric.org/de/allgemeine-erklaerung-menschenrechte/ (Abruf am 18.06.2020).