Handout 2.2: Männer und Frauen: drei Fallgeschichten

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Geschichte 1

„Das habe ich schon oft erlebt. Nach dem Abendessen erwartet meine Mutter von uns Kindern, dass wir die Teller und Schüsseln in die Küche tragen, den Tisch abwischen, das Geschirr abwaschen, darauf achten, dass alles im Küchenschrank verstaut ist und dass die ganze Küche aufgeräumt und sauber ist. Wieder einmal haben meine beiden Brüder, obwohl sie älter sind als ich, mir erklärt, dass das nichts für sie sei und dass ich das tun müsse, weil ich ja ein Mädchen sei. Dieses Mal protestierte ich nicht einmal, weil ich so wütend war. Ich beschwerte mich bei meinem Vater, aber er sagte nur, dass etwas Übung mir guttue, um mich auf das Leben als Hausfrau vorzubereiten“.

Fragen zur Diskussion

  1. Kannst du dir vorstellen, dass ein solcher Fall auch in deiner Familie vorkommen könnte?
  2. Stell dir vor, du seiest dieses Mädchen: Was würdest du deinen Brüdern in dieser Situation sagen? Und was deinem Vater?
  3. Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte lautet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ – Stimmst Du ihm zu? Was hat er mit dem geschilderten Fall zu tun?

Geschichte 2

„Sechs Jungen standen auf dem Schulhof um mich herum. Sie starrten mich alle an und hänselten mich. Einer sagte: ‘He Jungs, seid ihr sicher, dass das ein Mädchen ist? Sollen wir mal genauer nachsehen? ’ Dann näherte sich einer von ihnen und wollte mich anfassen. In diesem Moment betrat der Schulleiter den Schulhof und die Jungen liefen weg.“

Fragen zur Diskussion

  1. Kannst du dir vorstellen, dass ein solcher Fall auch in deiner Schule vorkommen könnte? Begründe Deine Meinung.
  2. Stelle dir vor, du bist dieses Mädchen – was würdest du diesen Jungen sagen?
  3. Stelle dir vor, ein anderer Junge würde mitbekommen, was geschieht. Sollte oder müsste dieser Junge eingreifen? Begründe Deine Meinung. Wie hätte er eingreifen können?
  4. Würdest du diesen Vorfall als sexuelle Belästigung bezeichnen? Begründe deine Meinung.

„‘Sexuelle Belästigung’: jede Form von unerwünschtem Verhalten sexueller Natur, das sich in unerwünschter verbaler, nicht-verbaler oder physischer Form äußert und das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“

EU-Richtlinie 2006/54/EG vom 05.07.2006, Artikel 1 Absatz 2 Ziff. D. Die Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, diese Richtlinie in ihr nationales Recht zu übernehmen.

Geschichte 3

Als junge Ingenieurin bewarb ich mich als Leiterin für technische Wartungsarbeiten bei einem Baustoffunternehmen. Ich wurde mit 24 anderen Bewerbern eingeladen, an allgemeinen technischen und psychologischen Tests teilzunehmen. Ich war die einzige Frau unter den Bewerbern. Nach dieser Phase wurden fünf Personen für ein Bewerbungsgespräch mit dem Geschäftsleiter ausgewählt. Obwohl ich nach den Tests auf Platz drei war, war ich nicht unter diesen fünf (ich habe diese sehr vertrauliche Information von einem Freund erhalten, der in der Personalabteilung der Firma arbeitet). Ohne diese Information zu erwähnen, habe ich versucht, den Geschäftsleiter anzurufen. Als ich es endlich schaffte, mit ihm zu reden, fragte ich ihn, ob es eine Rolle gespielt habe, dass ich eine Frau sei. Das bestritt er, sagte aber, dass man schon berücksichtigen müsse, dass Frauen nach ein paar Jahren oft schwanger würden und dass in bestimmten Positionen schwangerschaftsbedingte Fluktuation ein Problem wäre. Er sagte auch, dass es eine Frau bei dieser Stelle besonders schwer gehabt hätte, weil alle Arbeiter im technischen Team Männer seien und sich ziemlich derb benehmen würden. Ich solle mich glücklich schätzen, die Stelle nicht bekommen zu haben.

Fragen zur Diskussion

  1. Kannst du dir vorstellen, dass so etwas in einem Unternehmen in deiner Region vorkommen könnte? Begründe Deine Meinung.
  2. Stelle dir vor, du seiest diese Frau: Was würdest du dem Geschäftsleiter sagen?
  3. Glaubst du, dass der Geschäftsleiter in diesem Falle gegen das Gesetz in deinem Land verstößt? Wenn ja, wie würdest du das beweisen?

Diskriminierungsverbot

Im (…) privaten Sektor (…) darf es in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben: die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger (…) Erwerbstätigkeit, unabhängig vom Tätigkeitsfeld und beruflicher Position (…)
EU-Richtlinie 2006/54/EG vom 05.07.2006, Artikel 14 Absatz 1 Ziff. A. Die Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, diese Richtlinie in ihr nationales Recht zu übernehmen.

Quellenhinweis

Zum aktuellen Stand des EU-Rechts gegen Diskriminierung siehe https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-themen/diskriminierungsverbot/international/eu/ (Abruf am 02.06.2020).