Einheit 3: Pluralismus und Vielfalt – Wie können Menschen friedlich zusammenleben?

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Einheit 3: Basiskonzept „Pluralismus und Vielfalt“ (Sekundarstufe I)

Wie können Menschen friedlich zusammenleben?

Die vorliegende Einheit thematisiert drei Basiskonzepten: Vielfalt, Pluralismus und Demokratie. Sie untersucht die Zusammenhänge zwischen diesen drei Konzepten, um die Lernenden bei der Entwicklung von Einstellungen und Kompetenzen zu unterstützen, die sie brauchen, um an einer pluralistischen, demokratisch regierten Gesellschaft teilzuhaben.

Pluralismus bezieht sich auf eine grundlegende Eigenschaft moderner Gesellschaften, in denen eine große, jedoch nicht allumfassende Vielfalt religiöser und politischer Orientierungen akzeptiert wird und in denen die von verschiedenen politischen Parteien vertretenen Idealvorstellungen der Gesellschaft miteinander unvereinbar sind. Dazu ein Beispiel: Bürger/innen, die radikalen sozialistischen Parteien angehören, streben eine Gesellschaft an, die für jene, die Parteien der Rechten unterstützen sowie die kapitalistischen Wirtschaftsordnung befürworten, vollkommen fremd wäre.

In pluralistischen Gesellschaften hat die Bindekraft zahlreicher Traditionen und Werte, einschließlich des religiösen Glaubens, nachgelassen. Jede/r Einzelne kann und muss für sich selbst herausfinden, welche Werte für ihn wichtig sind und wie er sein Leben führen möchte. In diesem Sinne stellen pluralistische Gesellschaften eine Herausforderung dar: zwar genießen die einzelnen Menschen weiter reichende persönliche Freiheiten als je zuvor, zugleich werden ihnen größere Anstrengungen abverlangt, um Konsens oder Kompromisse auszuhandeln, ohne die keine Gemeinschaft bestehen kann. Hier stellt sich die Frage, welches politische System die besten Verfahrensformen für Entscheidungsprozesse in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft bieten kann.

In einem autoritären System – Einparteienherrschaft, Gottesstaat oder sogar einer Diktatur – ist dieses Problem gelöst, indem die Macht, im Namen aller Bürger und Bürgerinnen zu entscheiden, einem einzigen Akteur (zum Beispiel einer Partei oder einem Führer) überlassen wird. Diese Lösung begegnet der Herausforderung des Pluralismus, indem sie sich ihm entzieht und die Freiheit der einzelnen Menschen opfert. Das Konfliktpotenzial in pluralistischen Gesellschaften wird unterdrückt, jedoch muss ein hoher Preis dafür gezahlt werden: viele Probleme werden nicht effizient oder fair gelöst, da sie nicht mehr klar artikuliert werden können.

Eine Demokratie basiert auf der Idee, dass sich die Bürger und Bürgerinnen auf eine Reihe von Prinzipien, Regeln und Gesetze geeinigt haben, die es ihnen erlauben, bei zahlreichen Streitfragen unterschiedlicher Meinung zu sein und die zugleich regeln, wie sie sich mit gewaltfreien Mitteln einigen können (Vertragstheorie). Aus dieser Perspektive stiftet die Demokratie Frieden in pluralistischen Gesellschaften, indem sie Konflikte zivilisiert, anstatt sie zu unterdrücken. Das Gemeinwohl muss in einer gemeinsamen Anstrengung ermittelt und ausgehandelt werden, anstatt im Voraus von irgendeiner einzelnen Partei definiert zu werden. Streit und Konflikte sind normal und keinesfalls schädlich, solange ihr zerstörerisches Potenzial gebändigt wird. Wenn die Demokratie als Herrschaftsform verankert ist, genießen die Bürgern und Bürgerinnen elementare Grundrechte wie die Freiheit des Gewissens, des Glaubens und der Meinungsäußerung. Wenn Bürgerinnen und Bürger von diesen Rechten Gebrauch machen, produzieren sie Meinungsverschiedenheiten und Konflikte, deren Lösung sie miteinander aushandeln müssen. Das setzt voraus, dass zwischen allen Bürgerinnen und Bürger ein Konsens über die Verfahrensregeln friedlicher Konfliktlösung besteht, den sie bestätigen und besiegeln, als ob sie einen Gesellschaftsvertrag geschlossen hätten, in dem sie sich auf die sozialen und politischen Ordnungsprinzipien ihrer Demokratie geeinigt hätten.

Ein derartiger Gesellschaftsvertrag beinhaltet das Mehrheitsprinzip, also der Herrschaft durch die Mehrheit. Infolgedessen können sich manche Minderheitengruppen insofern benachteiligt sehen, als ihre eigenen radikalen Vorstellungen bei einer Wahl nicht durchsetzbar sind. Anderseits garantieren solche Gesellschaften politischen Minderheiten das Recht, ihre legitimen politischen Ziele ohne Behinderung durch den Staat zu verfolgen. Folglich müssen pluralistische Demokratien immer mit der Möglichkeit leben, dass eine radikale Regierung gewählt werden könnte, deren Vertreter geneigt sein könnten, den Handlungsspielraum ihrer politischen Gegner einzuschränken. Derartigen Bestrebungen kann nur die Verfassung Grenzen setzen. Das Mehrheitsprinzip in einer Demokratie findet also seine Schranken in den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Menschen- und Freiheitsrechte der Minderheiten.

Jede Generation muss diesen komplexe Zusammenhang von Herausforderungen in pluralistischen Gesellschaften verstehen und wissen, wie sie diesen Herausforderungen in einer Demokratie begegnen kann. Das beinhaltet auch die Wertschätzung für den ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag, ohne den kein demokratisches Gemeinwesen überleben könnte. Demokratie- und Menschenrechtsbildung kann Lernende unterstützen, die erforderlichen Kenntnisse und Einsichten, Einstellungen und Haltungen, sowie die Kompetenzen zu entwickeln, um als Bürger und Bürgerinnen an der Gesellschaft und politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben.

Lehren und Lernen über Vielfalt und Pluralismus

EDC/HRE sollte Lernende darin unterstützen, die Besonderheiten sozialer, politischer, religiöser und ethnischer Vielfalt zu verstehen, sowie die Komplexität der Herausforderungen, eine solche Vielfalt hervorbringt. Da Vorurteile zu einem erheblichen Teil auf Unkenntnis und mangelndem Problembewusstsein beruhen, können Intoleranz und Engstirnigkeit deutlich reduziert werden, wenn die Lernenden ihre Einstellungen kritisch überprüfen, an neu erworbenem Wissen messen und sich einer Denkweise annähern, die sie zur Empathie und zum Perspektivwechsel befähigt.

Lehren und Lernen für Vielfalt und Pluralismus

Lernende müssen demokratische Diskussionsführung praktizieren, um darin kompetent zu werden. Wann immer dies möglich ist, sollte EDC/HRE sollte deshalb den Lernenden die Gelegenheit geben, ihre Meinung zu jedem Thema, auch solchen von geringerer Bedeutung, zu äußern und zu begründen. Indem sie die Meinung anderer Lernender zu einem Thema anhören und darauf antworten, werden sie nicht nur ihre eigenen analytischen und argumentativen Fertigkeiten erweitern, sondern auch eine tolerante Grundhaltung gegenüber der Vielfalt moralischer und politischer Urteilsmaßstäbe entwickeln. Zugleich werden sie fähig mit Meinungsstreit und Kontroversen umzugehen, und sie werden es als notwendig anerkennen, Kompromisse zu schließen und auch lernen, faire und unfaire („faule“) Kompromisse zu unterscheiden.

Indem die Lernenden demokratische Diskussionsprozesse praktisch erfahren, werden sie auch begreifen, dass offene und faire Debatten grundlegende Verfahrensprinzipien voraussetzen, wir z.B.:

  • alle Teilnehmenden, die etwas beitragen wollen, erhalten das Wort;
  • jeder Beitrag wird mit Respekt angehört;
  • die Teilnehmenden sollen Meinungen, nicht Menschen angreifen;
  • die Teilnehmenden sollten sich darauf einstellen, dass sie Widerspruch hören werden und bereit sein, sich durch das bessere Argument überzeugen zu lassen;
  • konfrontativ geführte Debatten, in denen sich die Teilnehmenden hinter ihren Positionen verschanzen, sind oft weniger hilfreich als ergebnisoffene Debatten, in denen die Teilnehmer nicht versuchen, Recht zu behalten, sondern das Problem gemeinsam zu erarbeiten und besser zu verstehen.

Demokratie- und Menschenrechtsbildung steht für eine konstruktive Debatten- und Streitkultur. Prozesse des Erforschens und Diskutierens sind grundsätzlich wichtiger sind als die Verbreitung vorgefasster vermeintlicher Wahrheiten. In der Demokratie- und Menschenrechtsbildung müssen Lehrpersonen daher die Kompetenz entwickeln, Lernende in ihren Denkprozessen zu unterstützen, anstatt sie zu dominieren. Die Unterrichtsforschung zeigt, dass der Redeanteil der Lernenden im Unterricht nur zunimmt, wenn die Lehrperson ihren Redeanteil zurücknimmt.

Einheit 3: Pluralismus und Vielfalt – Übersicht

Wie können Menschen friedlich zusammenleben?

Thema Ziele Aufgaben Medien und Hilfsmittel Methoden

Sequenz 1:

Wie können Menschen zusammenleben

Die Lernenden können sich mit gesellschaftlichen Problemen und Lösungsmöglichkeiten auseinandersetzen; hier:

  • das Zusammenleben gesellschaftlicher Gruppen mit unterschiedlichen Wert- und Glaubensorientierungen;
  • die Rolle von Erziehung und Bildung, um die Verständigung zwischen Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu fördern;
  • die Chancen und Grenzen von Einzelpersonen, ihre Gesellschaft zu beeinflussen.

Die Lernenden diskutieren Probleme, die von einer Fallgeschichte aufgeworfen werden.

Sie praktizieren kritisches Denken.

Sie tauschen sich über ihre Ideen aus.

Sie erarbeiten ein Rollenspiel zur Vertiefung einer Problemanalyse.

Klassensatz des Handouts 3.1

Diskussion

Kritisches Denken

Hypothesen aufstellen

Rollenspiel

Sequenz 2:

Warum sind Menschen verschiedener Meinung?

Die Lernenden verstehen, dass in Gleichberechtigung und Freiheitsrechtsrechte in einer Gesellschaft dazu führen, dass Meinungsvielfalt und auch Streit bei Meinungsverschiedenheiten entsteht (Pluralismus).

Die Lernenden entwickeln die Kompetenz, kontroverse Themen zu diskutieren.

Die Lernenden verstehen, dass eine demokratische Gesellschaft auf einen Minimalkonsens aller Mitglieder angewiesen ist, der Grundwerte des gegenseitigen Respekts und anerkannte Verfahren zur Lösung von Problemen und Konflikten umfasst.

Die Lernenden beziehen Position zu kontroversen Themen und begründen ihre Entscheidung.

Die Lernenden sammeln Hypothesen über die Gründe, weshalb Menschen in öffentlich ausgetragenen Kontroversen unterschiedliche Positionen beziehen.

Sie überprüfen diese Hypothesen anhand ihrer eigenen Einstellungen.

Die Lernenden erarbeiten Grundelemente eines gesellschaftlichen Minimalkonsenses, der zur Anerkennung des Pluralismus und zu einem respektvollen und konstruktiven öffentlichen Diskurs beitragen kann.

Gut lesbare Beschriftungen für das „Vier-Ecken-Spiel“

Flipchart und Marker für die Pyramidenanalyse

Diskussion

Reflexion

Kritisches Denken

Lehrgespräch mit offenen Impulsen

Think – pair – share – Verfahren

Sequenz 3:

In welcher Hinsicht sind Menschen unterschiedlich?

Die Lernenden können exemplarisch Probleme sozialer Ungleichheit darstellen:

  • Ungleicher Zugang zu Bildungsangeboten
  • Schranken der Gleichberechtigung in der Gesellschaft

Die Lernenden können exemplarisch begründen, wer für die Überwindung sozialer Ungleichheit verantwortlich ist.

Die Lernenden analysieren eine fiktive Fallgeschichte, in der die Basiskonzepte dieser Einheit thematisiert werden.

Sie wenden die Basiskonzepte auf ihre eigene soziale Situation an.

Sie diskutieren Leitfragen, die in der Sequenz aufgeworfen wurden.

Sie lösen eine schriftliche Transferaufgabe.

Kopien der Geschichte

Kopien des Handouts 3.3

Kritisches Denken

Diskussion

Einen Argumentationsgang schriftlich darlegen

Sequenz 4:

Warum sind Menschenrechte wichtig?

 

Die Lernenden können Probleme und Konflikte erläutern, wenn Menschen mit unterschiedlichen Wertvorstellungen und Lebensweisen versuchen zusammen zu leben.

Die Lernenden können erläutern, weshalb Instrumentarien zur Durchsetzung der Menschenrechte auf internationaler Ebene entwickelt wurden, insb. Zum Schutz verwundbarer Individuen und Gesellschaften.

Die Lernenden

  • analysieren vorgegebene Problemsituationen und gewichten sie nach ihrer Dringlichkeit;
  • inszenieren im Rollenspiel Verhandlungen zwischen gegnerischen Parteien;
  • werten das Rollenspiel aus. Sie bestimmen Grundprinzipien menschlichen Zusammenlebens und vergleichen diese mit den Menschenrechten;
  • vergleichen das im Rollenspiel simulierte Inselszenario mit realen Fällen von Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land.
  • gestalten für andere Lernende Präsentationen zu ausgewählten Menschenrechten in der EMRK.
Kopien der Geschichte
Kopien des Handouts 3.3
Klassensätze der Handouts 3.4 (Inselszenario),3.5 (Situationskarten) und 3.6 (Kernelemente der Menschenrechte)

Flipcharts, Bildmaterial, Schere, Kleber, Marker (Abschlusspräsentation zu den Menschenrechten)

 

 

 

Kritisches Denken

Plenumsdiskussion

Verhandlung (Plenum, Kleingruppen)

Partnerarbeit, Gruppenarbeit und -präsentation