2 – Material 5: Beurteilung von Lernenden – die Auswirkung der Beurteilung auf das Selbstkonzept

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Die Beurteilung schulischer Leistungen ist ein weites Feld. Sie wirkt sich zum einen auf unmittelbar beobachtbare Dinge wie die Qualifikation der Lernenden, schulische Selektionsprozesse, Schulkarrieren und die somit mittelbar auf den sozialen Status und Teilhabechancen aus. Zum anderen wirkt sich die Beurteilung schulischer Leistungen auch auf die Persönlichkeitsentwicklung aus, insbesondere das Selbstkonzept, das Selbstwertgefühl und die Wahrnehmung der eigenen Kompetenzen und Fähigkeiten. Die Schule hat deshalb einen kaum zu unterschätzenden Einfluss auf das Selbstkonzept und die Selbsteinschätzung der Lernenden. Daher kommt es entscheidend auf die Wahl und die An-wendung der Bezugsnorm an.

Soziale Bezugsnorm

Angesichts des sozialen Kontextes, in dem Lernen in der Schule stattfindet, kann die soziale Bezugsnorm wichtige Aussagen über die Kompetenzen einzelner Lernender im Vergleich mit andern Lernenden bieten. Zugleich haben solche Vergleiche, die einzelne Lernende in einer Rangfolge innerhalb der Gruppe anordnen, einen starken, teilweise auch demotivierenden Einfluss auf das Selbstbild und das Selbstkonzept der Lernenden. Fragwürdig ist ferner, dass dieselbe Leistung je nach der Bezugsgruppe (z.B. starke oder schwache Klasse) unterschiedlich bewertet wird.

Individuelle Bezugsnorm

Die individuelle Bezugsnorm fordert Leistungsvergleiche bei einem bestimmten Lernenden. Wie unterscheidet sich z.B. der Leistungsstand eines Lernenden in EDC/HRE vor einem Monat von der aktuellen Leistung? Hier findet der Vergleich entlang einer Zeitachse statt. Insbesondere jüngere Schülerinnen und Schüler bevorzugen dieses Beurteilungsinstrument. Der „Leistungszuwachs” wird über eine gewisse Zeitspanne festgehalten, so dass man den Lernenden individuelle Rückmeldungen geben kann, auf welche Weise, in welchen Bereichen und in welchem Umfang ihr Leistungsstand zu- oder abgenommen hat.

Es geht bei der individuellen Bezugsnorm um den individuellen Lernfortschritt, nicht den Vergleich mit dem Fortschritt und Leistungsstand anderer Lernender. Auch bei informellen Lernprozessen, die außerhalb der Schule stattfinden, arbeiten Lernende mit dieser Bezugsnorm, um ihre Fortschritte und Kompetenzen selbst zu beurteilen.

Sachliche Bezugsnorm

Die schulische Leistung wird mit einem Lernziel verglichen. Der individuelle Lernfortschritt wird mit einem realistischen und erreichbaren Ziel abgeglichen. Diese Beurteilungsform gibt Auskunft über die Annäherung an ein idealtypisch definiertes Leistungsziel. Der Vergleich der Einzelleistung mit der Gruppenleistung ist unwichtig. Die Lehrperson ist dafür verantwortlich, die sachlichen Bezugsnormen zu bestimmen, an denen sich Tests oder Prüfungen orientieren. Die Lernenden sind darauf angewiesen, dass die Lehrperson die zu erreichenden Leistungsziele offenlegt und begründet. Die Transparenz der Leistungsanforderung trägt zugleich zur Entwicklung einer demokratischen Schulkultur bei.

Was ergibt diese Diskussion? Wenn eine Lehrperson das Selbstbild und das Selbstkonzept der Lernenden stärken möchte, sollte sich die Beurteilung an einem objektiven Maßstab orientieren. Die Lehrperson muss ihre Ziele klar formulieren und sie für die Lernenden transparent und nachvollziehbar machen.