Kapitel 4 – Andere wahrnehmen

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Einführung

Das Mädchen auf dem Bild betrachtet den Jungen durch eine Lupe. Das durch die Lupe erzeugte Bild sieht dem Jungen zwar ähnlich, ist mit ihm jedoch nicht identisch. Der Junge kennt sein eigenes Bild nicht. Vielleicht entspricht es ihm, vielleicht auch nicht; möglicherweise zeigt es sogar mehr Details, als ihm bewusst oder lieb ist. Beide Kinder lächeln; die Abweichungen zwischen Wahrnehmung und Realität scheinen also kein Problem darzustellen. Das Mädchen lächelt das Bild und nicht den Jungen selbst an.

Im Grunde halten wir alle unsere Lupe auf andere Menschen und prägen uns die so erzeugten Bilder ein. Wir beurteilen die Menschen nach den Bildern, die wir uns von ihnen machen. Diese Bilder sind zugleich der Rohstoff, aus dem wir Stereotypen schaffen. Wir alle verwenden derartige Vereinfachungen der komplexen Welt, die für keinen von uns vollständig fassbar ist. Wenn Stereotypen aber zu Vorurteilen – insbesondere zu negativen Vorurteilen – werden, können sie in der Gesellschaft Spannungen und Feindseligkeit erzeugen.

Die Lernszenarios und Spiele in diesem Kapitel helfen den Lernenden, sich ihrer Wahrnehmungen und Vorurteile gegenüber anderen bewusst zu werden, sie kritisch zu reflektieren und sie, wenn nötig, zu korrigieren. Das Kapitel 4 fokussiert auf die soziale Dimension von Demokratie und Menschenrechten. Unsere wechselseitige Wahrnehmung sowie die Art und Weise, in der wir miteinander interagieren prägt die politische Kultur der Gesellschaft. Die Akzeptanz, Wertschätzung und Stabilität von Demokratie und Menschenrechten hängt von ihrer Verwurzelung in der Gesellschaft ab, und kann nicht von der Verfassung und den Institutionen eines Staates allein garantiert werden.

Vereinfacht ausgedrückt sollen die Lernenden verstehen, dass sich mit Stereotypen die Komplexität unserer Gesellschaften und der Welt, in der wir leben reduzieren lässt. Sie sollen zudem begreifen, dass Stereotypen potenziell gefährlich sind, da sie Feindseligkeit und Diskriminierung auslösen können – insbesondere dann, wenn wir auf Menschen aus anderen Ländern und Kulturen treffen, die Angstgefühle in uns wecken. Bildung hilft den Menschen, Vorurteile und irreführende Stereotypen zu erkennen und zu korrigieren.

Ältere Lernende sind auch in der Lage zu verstehen, dass unsere Wahrnehmungen und Vorurteile letztlich zu einer politischen Kultur beitragen, welche Demokratie und Menschenrechte in der Gesellschaft entweder fördert oder untergräbt. Demokratie fängt buchstäblich bei mir – und bei dir an.