Material für Lehrpersonen 6.1: Thesen zum Modell des Politikzyklus

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  1. Politik hat zwei Seiten: die Lösung drängender, die Gesellschaft betreffender Probleme und der Kampf um Macht. Das Modell des Politikzyklus legt den Schwerpunkt auf den ersten Aspekt – den Prozess der Problemlösung. Der Aspekt des politischen Machtkampfes kommt insbesondere bei der Analyse des Streits um die Bestimmung der politischen Agenda zur Geltung (vgl. Massing/Skuhr 1993:257). Das Hauptaugenmerk richtet sich indes auf die praktische Seite, den Aufgabencharakter der Politik, bzw. – in den Worten Max Webers – auf das „starke langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ (Weber 1992:82). In der empirischen Realität ist die Sacharbeit nicht zu trennen vom demokratischen Wettbewerb um die Zustimmung der Medien und der Wähler, einschließlich persönlicher Angriffe gegen den politischen Gegner, Populismus und Skandalisierung, doch wird dieser Aspekt vom Modell ausgeblendet.
  2. Das Modell des Politikzyklus liefert einen aufschlussreichen Zugang zum Konzept des Gemeinwohls. In einer demokratisch verfassten Gesellschaft besitzt niemand die Macht, das Gemeinwohl für alle zu definieren – darin besteht ein entscheidender Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur –, ja sogar über die Anerkennung des Begriffs selbst besteht Dissens. Das Gemeinwohl muss im konkreten Kontext der Problemlösung ermittelt, d.h. ausgehandelt und in der Regel als Kompromiss bestimmt werden. Scheitert die Problemlösung oder erweist sie sich als diskriminierend, kann die gefundene Einigung – als Teil eines neuen Problems – korrigiert werden. Eine offene Gesellschaft ermöglicht bzw. erfordert einen pragmatischen im Umgang mit der Frage nach dem Gemeinwohl. Ein Konsens über den institutionellen Rahmen der Entscheidungsfindung (Ordnungskonsens) ermöglicht Dissens in den Wertauffassungen und Interessen; diesen Ordnungskonsens setzt das Modell des Politikzyklus voraus.
  3. Der Politikzyklus hat mit einer Landkarte zwei Dinge gemeinsam. Bei beiden handelt es sich um Modelle, und beide dienen der Verortung – die Karte in geographisch vermessenen Räumen, der Politikzyklus in Entscheidungsprozessen. Der Politikzyklus gibt Bürgerinnen und Bürger, die sich an politischen Entscheidungen beteiligen wollen, eine Orientierungshilfe. Abgesehen vom Vorgang der Entscheidung im politischen System im engeren Sinne ist in der repräsentativen Demokratie die Teilhabe auch in den vorgelagerten Phasen möglich (d.h. in der Inputseite des politischen Systems) und ebenso in der Auseinandersetzung mit dem Output, d.h. den getroffenen Entscheidungen und deren Umsetzung. Falls der Politikzyklus in einer plebiszitären Demokratie stattfindet, können die Bürgerinnen und Bürger einzelne Entscheidungen selbst in die Hand nehmen. Falls die Bürgerinnen und Bürger auch bei Personalentscheidungen im administrativen System mitbestimmen, können sie auch die Implementierung mittelbar beeinflussen.