Einführung

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Die Schule ist der Ort, an dem gelehrt und gelernt wird. Das war schon immer so und wird hoffentlich immer so bleiben. Was sich hingegen geändert hat ist, was und auf welche Weise gelernt wird. In der Gesellschaft findet ein rasanter wirtschaftlicher und sozialer Wandel statt und die Schulen sind gezwungen, sich den neuen Gegebenheiten so gut wie möglich anzupassen.

Viele Menschen haben heute eine andere Vorstellung von der Schule, denn sie betrachten sie nicht mehr nur als einen Ort, an dem Kinder auf ihr Leben als Erwachsene vorbereitet werden, sondern auch als einen Lebensbereich, in dem Menschen viel Zeit miteinander verbringen. Allein darin liegen große Lernchancen; zugleich sind die Lernenden herausgefordert, sich soziale Kompetenzen anzueignen.

Beschließt eine Schule, sich an EDC/HRE, d.h. an Demokratie- und Menschenrechtsbildung zu orientieren – zahlreiche Schulen verfügen über die Autonomie zu solche einem Schritt –, entscheidet sie sich dafür, das Schulleben aktiv zu gestalten und Modelle für Demokratiebildung zu schaffen. Die gesamte Schule – nicht nur das Klassenzimmer – wird zu einer Mikrogesellschaft. Dies ist keineswegs ein idealisiertes Bild, sondern die Realität. Niemand würde behaupten, das Zusammenleben sei einfach und konfliktfrei, und die Schule macht da keine Ausnahme. Das ist auch nicht das Ziel von Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Die Lernenden sollten vielmehr befähigt werden, unterschiedliche Interessen zu respektieren und nach einem Ausgleich zwischen ihnen zu suchen, denn diese Kompetenz ist die Voraussetzung demokratischer Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger.

Das vorliegende Handbuch richtet sich in erster Linie an Lehrpersonen. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass auch andere Adressaten erreicht werden, im Bereich der Lehrerausbildung, Lehrplanentwicklung, Schulbuchproduktion und Übersetzung – primär innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats, möglicherweise auch in anderen Staaten.

Das Handbuch beschreibt neun Unterrichtseinheiten zur Demokratiebildung (EDC) und Menschenrechtsbildung (HRE). Jede Einheit umfasst vier Sequenzen, die sich an Schülerinnen und Schüler der letzten Primarschulklasse richten, in der Regel 10- bis 11-jährige Kinder2. Jede Einheit fokussiert auf eines der Basiskonzepte von EDC oder HRE: Identität – Pluralismus und Vielfalt– Gleichberechtigung – Konflikt – Gesetze und Regeln – Staat und Politik – Verantwortung – Freiheit – Medien. Und in jeder Sequenz werden Unterrichtsschritte vorgeschlagen und möglichst detailliert beschrieben.

Zusammen ergeben die neun Einheiten aber nicht das Schulfach „Demokratiebildung“, „Sozialkunde“ oder welches Fach auch immer. Vielmehr können die einzelnen Einheiten in zahlreichen Fächern integriert werden, z.B. dem Sprach-, Geographie- oder Geschichtsunterricht, oder den Diskursfächern Ethik und Religion sowie Kunst oder Musik. Die Autoren entwickelten daher in Absprache mit Bildungsexpertinnen und -experten der Mitgliedländer des Europarates Unterrichtssequenzen für EDC/HRE, die sich als zusätzliche Elemente gut in die bestehenden Lehrpläne für die Primarstufe integrieren lassen. Denn gerade in der Primarschule, in der die Lehrpersonen ein Spektrum von Fächern abdecken müssen, wäre die Einführung eines weiteren Fachs eher kontraproduktiv, da die Aufgabe der Lehrpersonen weiter erschwert würde. Die Themen und Inhalte der Demokratie- und Menschenrechtsbildung beanspruchen keine zusätzliche Unterrichts- und Lernzeit; vielmehr fügen sie den Themen, die regulär im Unterricht behandelt werden, eine weitere Perspektive hinzu. Die Autoren dieses Handbuchs setzen daher keine zusätzlichen Kompetenzen der Lehrpersonen voraus, und sie berücksichtigen die Komplexität ihrer Aufgabe, unterschiedliche Fächer zu unterrichten.

Die aus der Sicht der Nutzer wichtige Frage, ob es sich bei EDC/HRE um ein neues Schulfach handelt, lässt sich also für die Primarschulen in meisten Ländern ganz überwiegend mit nein beantworten.

EDC/HRE fügt dem Lehren und Lernen im Rahmen der bestehenden Lehrpläne eine neue Perspektive hinzu. Lehrpersonen wie Lernende erhalten Impulse, ihre Arbeit anders und fruchtbarer zu gestalten.

EDC/HRE setzt sich zum Ziel, die Lernenden zu befähigen und zu ermutigen, zu aktiven Bürgern zu werden, die bereit und in der Lage sind, an der Zukunft ihrer Gesellschaft mitzuwirken, d.h. ihre demokratischen Teilhabe- und Menschenrechte wahrzunehmen. Zugleich vertritt EDC/HRE die Prinzipien guten Unterrichts. Demokratische Teilhabe kann und muss in der Schule gelernt werden; sie lässt sich in jedes Fach integrieren und sämtlichen Altersstufen zugänglich machen.

Somit hat der Kompetenzerwerb Vorrang gegenüber dem traditionellen Ansatz der Wissensvermittlung.

Doch auch EDC/HRE hat eine inhaltliche Dimension: das Lehren und Lernen über Demokratie und Menschenrechte. Elemente davon können Sozialkunde bzw. politische Bildung, in den Geschichtsunterricht oder in Diskursfächer integriert werden.

Doch grundsätzlich geht es in EDC/HRE um das Lehren und Lernen im Geiste der, oder durch Demokratie und Menschenrechte, und diese neue Perspektive bezieht die ganze Schule ein. darum, sie im ganzen Schulbetrieb zur Geltung zu bringen. Dieses Handbuch zeigt, dass durch die Perspektive von EDC/HRE neue Lehr- und Lernmethoden ins Klassenzimmer einführt, welche die Rollen der Lehrenden und Lernenden bereichern. Den Kindern steht mehr echte Lernzeit zur Verfügung, und die Lehrperson unterstützt und beobachtet sie dabei, geht also über ihre traditionelle Aufgabe der Wissensvermittlung hinaus. Die Unterrichtsmodelle spornen Lehrerinnen und Lehrer dazu an, sich gründlicher mit ausgewählten Themen zu befassen und den Kindern dafür mehr Zeit zu lassen, sich eingehend mit den Inhalten auseinanderzusetzen — nach der Devise: Weniger ist mehr.

Methodenkoffer und Arbeitsblätter – das Schülerhandbuch

Alle neun Einheiten orientieren sich am Prinzip der Schüleraktivierung. Dem liegt die Einsicht zu Grunde, dass Lernen einen Prozess der aktiven Aneignung darstellt, nicht nur ein passiv rezipierendes Zuhören. Die Einheiten ermöglichen und verlangen Kommunikation zwischen den Lernenden, sie suchen nach Informationen, stellen Fragen und versuchen zu verstehen und zu erklären. Die Lehrperson unterstützt alle diese Anstrengungen und Lernprozesse, da sie weiß, dass Demokratiebildung ein kontinuierlicher Prozess ist und Fehler zum Lernen dazu gehören.

Das selbsttätige Lernen wird durch den so genannten „Methodenkoffer“ unterstützt. Zwölf ausgewählte Methoden begünstigen diesen selbstständigen, selbstgesteuerten Lernprozess: in Bibliotheken bzw. im Internet recherchieren, Interviews und Umfragen durchführen, Bilder interpretieren, Mindmaps erstellen, Plakate gestalten, Ausstellungen planen, Präsentationen vorbereiten und halten, Präsentationen mit analogen und/oder digitalen Medien ausarbeiten, Zeitungsartikel verfassen, Aufführungen vorbereiten und Diskussionen führen).
Die Lehrperson kann auch Arbeitsblätter als Medium einsetzen, um die Lernprozesse ihrer Klasse zu unterstützen. Jede Einheit enthält solche losen Arbeitsblätter, die an die Kinder verteilt werden können. Die Kopiervorlagen der Arbeitsblätter finden sich am Ende des Handbuchs. Die Ziffern auf den Arbeitsblättern verweisen auf die jeweilige Einheit bzw. Sequenz, der sie angehören (z. B. Einheit 2, Sequenz 2). Die Lehrperson entscheidet, wann die Blätter verteilt werden sollen. Sie entscheidet auch, wie die Handouts abgelegt werden sollen, z.B. in einem Ordner, oder vielleicht auch geheftet als Materialsammlung so wie sie in diesem Handbuch präsentiert wird.

Erfahrungsgemäß legen Lehrpersonen Wert darauf, dass Kopiervorlagen praxisgerecht und selbsterklärend sind. Arbeitsblätter sollen die Arbeit der Lehrperson und der Lernenden unterstützen und ergänzen, und sie sollten ohne großen Erklärungsaufwand auskommen. Die Arbeitsmaterialien in diesem Handbuch erfüllen diese Kriterien. Außerdem lassen sie sich leicht abwandeln und an die spezifischen Bedürfnisse jeder Klasse sowie an unterschiedliche Lehrmethoden anpassen. Die Handouts eröffnen alternative Beurteilungsformen zur gängigen formativen Beurteilung der Teilnahme der Kinder am Unterricht, ihres Lernverhaltens und ihrer Motivation. Die Arbeitsblätter ermöglichen es der Lehrperson, den Kindern eine schriftliche Einzelbeurteilung ihrer Lernleistung zu geben.

2. Band V dieser Handbuchreihe „Kinderrechte erkunden“ enthält Unterrichtseinheiten für Kinder aller Klassenstufen von 1 – 8. https://www.living-democracy.com/de/textbooks/volume-5/ (Abruf am 02.12.2021).