Sequenz 2: Vesnas Geschichte

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Wie würden wir reagieren, wenn das uns passieren würde?

Ziele

Die Lernenden werden sich bewusst, dass es in der Gesellschaft Vorurteile und Diskriminierung gibt.

Sie können den Standpunkt von Diskriminierungsopfern nachvollziehen.

Sie können auf Situationen der Diskriminierung reagieren.

Aufgaben Die Lernenden diskutieren einen Fall von Diskriminierung und vergleichen ihn mit der Situation in ihrem eigenen Land.
Medien, Hilfsmittel Klassensatz des Handouts 2.1 (mit Fragen)
Europäische Menschenrechtskonvention, Art. 14.
Methoden Gruppenarbeit, Plenumsdiskussion.

 

 

Das Konzept der Diskriminierung

Diskriminierung ist eine in der Gesellschaft weit verbreitete Verhaltensform. Nicht nur Individuen, sondern auch Behörden und Institutionen praktizieren Diskriminierung. Die Sequenz stellt einen Zugang zu diesem Problem mit einer authentischen Fallgeschichte zur Diskriminierung her und gibt den Lernenden einen Impuls, ihr Verhalten zu reflektieren.

 

Verlauf der Sequenz

Die Lehrperson liest die Geschichte auf dem Handout 2.1 vor oder gibt den Lernenden Zeit, sie still zu lesen.

Vesnas Geschichte

Vesna, eine junge Roma Frau, erzählt, was sie erlebt hat:

„Ich sah im Schaufenster eines Kleidergeschäfts eine Anzeige, dass eine Verkäuferin oder Verkäufer gesucht werde. Sie wollten jemanden, der 18 bis 23 Jahre alt ist. Ich bin 19, also ging ich hinein und fragte die Chefin nach der Stelle. Sie sagte mir, ich solle in zwei Tagen wieder vorbeikommen, weil sich noch nicht genug Bewerber oder Bewerberinnen gemeldet hätten.

Ich ging dann zweimal im Geschäft vorbei, und mir wurde immer wieder das Gleiche gesagt. Knapp eine Woche später ging ich wieder zum Geschäft. Das Stellenangebot hing immer noch im Schaufenster. Die Chefin war zu beschäftigt, um mit mir zu sprechen, aber es wurde mir gesagt, dass die Stelle jetzt besetzt sei.

Als ich das Geschäft verließ, war ich so enttäuscht, dass ich eine Freundin, die nicht Roma ist, bat, sie im Geschäft vorbeizugehen und nach der Stelle zu fragen. Nach kurzer Zeit kam sie wieder heraus und sagte mir, man habe sie zu einem Vorstellungsgespräch am Montag eingeladen.“

Wenn die Lernenden die Geschichte gehört oder gelesen haben, teilt die Lehrperson die Klasse in Arbeitsgruppen auf (je 4 oder 5 Lernende) und bittet sie, die folgenden Fragen zu diskutieren. Die Gruppen finden diese Fragen auf dem Handout 2.1. Die Lernenden sollten nun das Handout erhalten, um die Geschichte nachlesen zu können und die Art. 2 und 23 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte einzubeziehen.

  1. Wie würdest du dich fühlen, wenn dir passieren würde was Vesna erlebt hat? Wie würdest du reagieren, wenn du erfahren würdest, dass deine Freundin zum Bewerbungsgespräch eingeladen wurde?
  2. Versuche das Verhalten der Chefin zu erklären. Begründe Deine Meinung dazu, ob es sich um einen Fall von Diskriminierung handelt.
  3. Beurteile die Möglichkeiten, die Vesna hat, sich gegen ihre Behandlung zu wehren. Prüfe, was andere Personen für sie tun könnten?
  4. Prüfe, ob die Behandlung Vesnas das Gesetz verletzt.
  5. Begründe, ob auch in deinem eigenen Land ein solcher Fall denkbar wäre, und welche Gruppen ggf. betroffen wären.

Die Lehrperson kann auf verschiedene Weise vorgehen. Sie konzentriert sich mit der Klasse zunächst auf die Fragen unter Ziff. 1. Die Lernenden erhalten einen Impuls, sich im Klassengespräch spontan und auch emotional zum Fall Vesnas auszutauschen. Die folgenden Fragen lassen sich nacheinander ebenfalls im Plenum diskutieren, oder aber die Lernenden diskutieren die Fragen unter Ziff. 2 – 5 in Gruppen und vergleichen anschließend ihre Ergebnisse im Plenum.

Anschließend berichtet die Lehrperson, dass Vesnas Geschichte sich in den 1990er Jahren ereignete und die Chefin zu den Gründen ihres Verhaltens befragt wurde. Die Lehrperson liest ihre Antwort vor:

Die Antwort der Geschäftsführerin

„Ich hatte das Gefühl, Vesna würde es schwerfallen, hier zu arbeiten, da sie jeden Tag so einen weiten Weg zur Arbeit hätte zurücklegen müssen. Sie hätte mit dem Bus eine Anfahrt von ca. 12 Kilometern und müsste auch noch umsteigen. Es ist sehr schwierig, ein Geschäft zu leiten, wenn das Personal immer zu spät kommt. Ich ziehe es vor, jemanden aus der Umgebung anzustellen. Die Person, die ich eingestellt habe, schien sehr geeignet für die Stelle.“

Die Lehrperson bitte die Lernenden, die Rechtfertigung der Chefin zu beurteilen. Dabei sollten die Lernenden prüfen, ob die Sicht der Geschäftsführerin mit Artikel 2 und 23 der Menschenrechtserklärung vereinbar ist.

Die Lernenden erfahren anschließend, wie der Fall Vesnas ausging. Die Lehrperson liest vor:

Das Ende von Vesnas Geschichte

Vesna brachte ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der befugt ist, in Europa das Verbot der Diskriminierung durchzusetzen. Das Gericht urteilte, dass Vesna diskriminiert worden war. Mehrere andere Bewerberinnen, die auch weit weg vom Bekleidungsgeschäft wohnten, waren zu Bewerbungsgesprächen eingeladen worden. Das Mädchen, das eingestellt wurde, war erst 16, weiß, und ihre Wohnung war ebenso weit vom Geschäft entfernt wie Vesnas Wohnung. Das Geschäft wurde dazu verurteilt, Vesna Schmerzensgeld zu zahlen.

Zur Nachbereitung bittet die Lehrperson die Lernenden über Vesnas Fall zu reflektieren. Ihre Gedanken sollen sie auf einem Blatt festhalten. Diese Reflexionsbeiträge können im Klassenraum aufgehängt werden, damit alle sie lesen können. Falls die Zeit zur Verfügung steht, kann die Lehrperson eine Diskussion über die Schülerbeiträge ansetzen. Eine Schülergruppe kann auch in einem kleinen Anschlussprojekt einen Artikel verfassen, der veröffentlicht wird.