3.1 „Ich wünsche mir, dass meine Schülerinnen und Schüler Folgendes können …”

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„Nachdem wir Präsentationstechniken geübt haben, möchte ich, dass alle meine Schülerinnen und Schüler in der Lage sind, vor der Klasse zu sprechen, ohne abzulesen.”

„Nachdem wir in sechs Sequenzen die Grundlagen unserer Verfassung bearbeitet haben, erwarte ich von allen Schülerinnen und Schülern in der Klasse, dass sie erklären können, wie unser Wahlsystem funktioniert und welche Parteien und Politiker zur Zeit an der Regierung beteiligt sind.”

„Vor ein paar Monaten hatten wir in der Klasse das Problem, dass einige Schülerinnen und Schüler einander bei Diskussionen nicht zuhören wollten und anderen, mit deren Meinung sie nicht einverstanden waren, ins Wort fielen. Wir haben uns dann intensiv mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung befasst und darüber gesprochen, dass dies nur dann für alle funktioniert, wenn wir uns gegenseitig achten. Ich hoffe, dass die meisten Lernenden dies verstanden haben und nun wissen, wie man sich in Diskussionen verhält.”

Diese Beispiele zeigen, mit welchen Vorstellungen Lehrpersonen ihre Sequenzen in EDC/HRE planen: Sie definieren Ziele. Sie entscheiden, was ihre Lernenden können sollten und welche Ziele für sie mit einer gewissen Anstrengung erreichbar sind. Dann denken sie über den Lernprozess nach, den ihre Schülerinnen und Schüler bewältigen müssen und ihre Lernbedürfnisse zu Beginn dieses Prozesses – ihre Schwierigkeiten, ihre Fähigkeiten, ihre Stärken und Schwächen.

Lehrpersonen sind mit dieser Denkweise vertraut, und sie ist weit verbreitet. Die meisten Lehrpersonen denken nicht nur über das Thema und den Stoff nach – „Ich muss vor den Ferien noch die Reformation machen“ – sie müssen wissen, welche Leistung (Performanz) sie bei ihren Lernenden sehen wollen.

Ziele, die den Fokus auf die Lernenden und bestimmen, wozu diese fähig sein sollten, sind kompetenzorientiert. Als Erwachsene werden Lernende dereinst ohne eine Lehrperson, die sie anleitet oder überwacht, zurechtkommen müssen. Der traditionelle Frontalunterricht, der einen eng getakteten Lehrplan abarbeitet, trägt zu wenig dazu bei, dass die Lernenden in den Dimensionen praktischer und wertorientierter Bildung unabhängig, selbstsicher und kompetent werden.

Die oben beschriebenen Beispiele verweisen auf unterschiedliche Dimensionen der Kompetenzentwicklung:

  • Das erste Beispiel – Blickkontakt mit den Zuhörern herstellen und frei sprechen – bezieht sich auf Fertigkeiten, die nicht an spezifische Inhalte gebunden sind. Für die Lernenden sind sie unverzichtbare Instrumente zur Beschaffung, Verarbeitung oder, wie in diesem Beispiel, zur Aufbereitung und Präsentation von Wissen und Informationen. Das Einüben derartiger Fertigkeiten ist nichts anderes als das Lernen „für” ein demokratische Teilhabe und die Wahrnehmung von Men¬schenrechten – befähigt die Lernenden, von ihren Menschenrechten Gebrauch zu machen und an der Demokratie zu partizipieren.
  • Beim zweiten Beispiel – die Grundlagen des Wahlsystems verstehen und wissen, wer die letzten Wahlen gewonnen hat und somit die aktuelle Regierung bildet – geht es um das Lernen „über” Demokratie und Menschenrechte. Junge Bürger müssen wissen, welche Menschenrechte – beispielsweise das Wahlrecht – als Bürgerrechte in der Verfassung ihres Landes verankert sind und wie sich ihr Wahlverhalten im Wahlsystem ihres Landes auswirkt.
  • Das letzte Beispiel verdeutlich dass die Demokratie auf eine politische Kultur angewiesen ist, die auf den Einstellungen und Werten der Bürgerinnen beruht – im vorliegenden Fall sind dies die gegenseitige Achtung und die Toleranz gegenüber anders Denkenden. Die Lernenden müssen bereit sein zu akzeptieren, dass sie bei Wahrnehmung ihrer Freiheitsrechte die Rechte Anderer berücksichtigen müssen. Eine Kultur der Menschenrechte stärkt die persönliche Selbstbestimmung der Lernenden und ihrer Lehrpersonen, fordert jedoch zugleich die Einsicht ein, dass wir verantwortlich sind für die Achtung der Menschenrechte Anderer. Junge Menschen eignen sich ihre Wertvorstellungen durch persönliche Erfahrung und überzeugende Vorbilder an (Lehren und Lernen „durch” Demokratie und Menschenrechte).