Einheit 2 – Gleichberechtigung

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Einheit 2: Gleichberechtigung

Bist du gleicher als ich?

Das Konzept der Gleichberechtigung erkennt an, dass allen Menschen die gleichen individuellen Rechte zustehen, und zwar ungeachtet ihres Alters, ihres Geschlechts bzw. ihrer Gender-Identität, ihres Glaubens, ihrer ethnischen Herkunft u.a.m.

Die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte14 beginnt wie folgt: „[…] die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen [bildet] die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt“. Demokratische Teilhabe hängt untrennbar zusammen mit der Durchsetzung der Gleichberechtigung. Ungleichheiten in einer Gesellschaft oder zwischen Gesellschaften stehen der demokratischen Teilhabe aller im Wege. Die Idee der Gleichberechtigung bildet also den Kern der Demokratie- und Menschenrechtsbildung. Daraus folgt, dass EDC/HRE sich intensiv mit Problemen der Ungleichheit befassen und ihre Adressaten befähigen muss, gegen jegliche Form der Diskriminierung vorzugehen15.

Das Konzept der Vielfalt überschreitet implizit die Idee der Toleranz und umfasst auch aufrichtigen Respekt und die Wertschätzung von Verschiedenheit. Vielfalt gehört zum Kern der Idee des Pluralismus und Multikulturalismus, und insofern gehört das Konzept der Vielfalt zu den Grundlagen der Demokratie- und Menschenrechtsbildung. EDC/HRE muss daher den Lernenden ermöglichen, ihre Wahrnehmungen zu analysieren und Vorurteile und Stereotype zu hinterfragen. Zugleich muss sie sich zum Ziel setzen, dass Verschiedenheit und Vielfalt in der Gesellschaft wertgeschätzt und gelebt werden auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene.

Solidarität lässt sich fassen als die Fähigkeit und Bereitschaft von Individuen, über den eigenen, persönlichen Raum hinauszugehen und die Rechte anderer anzuerkennen, zu verteidigen und für sie einzutreten. Solidarität zählt ebenfalls zu den Kernzielen der Demokratie- und Menschenrechtsbildung, da die Lernenden die Kenntnisse, Fähigkeiten und Werte erwerben sollen, die Menschen ermöglichen, am Leben in ihrer Gesellschaft in vollem Umfang teilzuhaben. Wie schon erwähnt, ist Solidarität zum einen ein Handlungsprinzip, zum anderen jedoch auch eine Grundhaltung und eine Denkweise.

Ein Vorurteil ist ein Urteil, das wir über eine Person oder eine Gruppe abgeben, ohne sie wirklich zu kennen. Vorurteile können negativ oder positiv ausfallen. Wir erwerben Vorurteile in unserem Sozialisationsprozess und es ist schwer sie zu verändern oder zu überwinden. Es ist deshalb sehr wichtig zu erkennen, dass es sie gibt (vgl. hierzu Sequenz 1.3).

Diskriminierung kann auf direkte oder indirekt praktiziert werden. Direkte Diskriminierung beruht auf der Absicht, eine Person oder eine Gruppe zu benachteiligen, etwa indem eine Personalabteilung einen Bewerber ablehnt, weil er Rom ist oder ein Immobilienunternehmen, das keine Wohnungen an Migrant/innen vermietet. Indirekte Diskriminierung kann sich als Auswirkung politischer Entscheidungen oder administrativer Maßnahmen ergeben. Dies geschieht, wenn durch eine vordergründig neutrale Vorschrift, ein Entscheidungskriterium oder ein Verfahren eine Person oder eine bestimmte Minderheit in der Praxis im Vergleich zu anderen benachteiligt wird. Beispiele reichen von der vorgeschriebenen Mindestkörpergröße für Feuerwehrleute, die überwiegend Frauen ausschließt, über das Kaufhaus, das keine Träger oder Trägerinnen langer Röcke einstellt, bis hin zu Bestimmungen, welche Kopftuchträgerinnen den Zugang zur öffentlichen Verwaltung oder der Schule verwehren. Diese Regeln erscheinen auf den ersten Blick neutral in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit oder Religion, können jedoch Angehörige bestimmter Minderheiten oder religiöser Gruppen, die Kopftücher oder lange Röcke tragen, unverhältnismäßig stark benachteiligen.

Der Gender-Begriff bezeichnet die von der Gesellschaft konstruierten Rollen, die Frauen und Männern auf Grund ihres Geschlechts zugewiesen werden. Genderrollen hängen also abhängig von einem spezifischen sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Kontext ab und werden von anderen Faktoren beeinflusst wie Hautfarbe und Rasse, ethnische Herkunft, Schicht- und Klassenzugehörigkeit, sexuelle Orientierung und Alter. Genderrollen werden erlernt und unterscheiden sich erheblich innerhalb einer Kultur und in verschiedenen Kulturen. Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht können Genderrollen sich verändern.
Wirtschaftliche und soziale Rechte beziehen vor allem mit den Bedingungen, von denen die umfassende Entwicklung eines Individuums und die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards abhängen. Diese Rechte werden häufig als „Menschenrechte der zweiten Generation“ bezeichnet und gelten schwer durchsetzbar, sie von den verfügbaren Ressourcen abhängig seien. Zu diesen Rechten zählt das Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf Freizeit und auf einen angemessenen Lebensstandard. Diese Rechte sind im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNO-Pakt I) verankert, der am 16.12.1966 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde16.

Menschen vertreten unterschiedliche Ansichten und Einstellungen dazu, wie die Gesellschaft mit Problemen sozialer Gerechtigkeit umgehen sollte. Ihre gegensätzlichen Positionen lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen:

  • „Darwinist/innen“ meinen, dass Individuen für ihre eigenen Probleme allein verantwortlich sind und sie deshalb auch allein lösen sollten. Sie glauben, dass Menschen Anreize brauchen, um sich mehr anzustrengen. „Darwinist/innen“ neigen dazu, sich von sozialpolitischen Auseinandersetzungen fernzuhalten.
  • Die „Mitfühlenden“ empfinden Empathie für Menschen die leiden müssen, und möchten etwas tun, um deren Schmerz zu lindern. Sie betrachten soziale und wirtschaftliche Rechte als politische Ziele, nicht so sehr als Menschenrechte. Daher tendieren die „Mitfühlenden“ dazu, Menschen in sozialen Notlagen zu bevormunden.
  • Die „Gerechtigkeitssuchenden“ befürchten, dass Menschen ungerecht behandelt werden, zum großen Teil in Folge politischer Entscheidungen. Sie glauben, das politische und wirtschaftliche System verändern zu müssen, damit Menschen nicht mehr in Armut leben müssten17.

Einheit 2: Gleichberechtigung – Übersicht

Bist du gleicher als ich?

 

Thema Ziele Aufgaben Medien und Hilfsmittel Methoden

Sequenz 1:

Unterschiede und Ähnlichkeiten

Die Lernenden können Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen Menschen erklären.

Sie wertschätzen sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede.

Die Lernenden entdecken Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Menschen.

Sie diskutieren Folgen des Andersseins.

Hefte oder Blätter und Stifte für die Einzelarbeit.

Für die fakultative Vertiefungsaufgabe: Flipcharts, Marker.

Einzelarbeit, Gruppenarbeit.

Sequenz 2:

Vesnas Geschichte

Die Lernenden werden sich bewusst, dass es in der Gesellschaft Vorurteile und Diskriminierung gibt.

Sie können den Standpunkt von Diskriminierungsopfern nachvollziehen.

Sie können auf Situ-ationen der Diskriminierung reagieren.

Die Lernenden diskutieren einen Fall von Diskriminierung und vergleichen ihn mit der Situation in ihrem eigenen Land. Kopie des Handouts 2.1 (fakultativ) Gruppenarbeit, Präsentation, Diskussion.

Sequenz 3:

Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern

Die Lernenden können die Konzepte Geschlecht und Gender voneinander abgrenzen.

Die Lernenden verstehen, dass in der Gesellschaft genderbezogene Diskriminierung stattfindet.

Die Lernenden können die Perspektive der Opfer genderbezogener Diskriminierung einnehmen.

Die Lernenden sind imstande, auf Situationen der Diskriminierung zu reagieren.

Die Lernenden untersuchen, wie sie und die Gesellschaft insgesamt Frauen behandeln.

Auszug aus dem Handout 2.2 für jede Gruppe.

Flipchart und Marker für jede Gruppe.

Kleine Arbeitsgruppen.

Sequenz 4:

Soziale Gerechtigkeit

Die Lernenden erkennen Probleme bei der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft.

Die Lernenden diskutieren Probleme der Verteilungsgerechtigkeit.

Die Lernenden reflektieren ihren Lernprozess in dieser Einheit.

Auszüge des Handouts 2.3, abgestimmt auf die Arbeitsaufträge für Partnerarbeit Diskussion, Partnerarbeit, kritisches Denken

 

14. https://www.un.org/Depts/german/de/menschenrechte.html (Abruf am 26.05.2020).
15. Dies und das Folgende nach Karen O’Shea: A glossary of terms for education for democratic citizenship. Europarat, DGIV/EDU/CIT (2003) 29. https://www.semanticscholar.org/paper/A-GLOSSARY-OF-TERMS-FOR-EDUCATION-FOR-DEMOCRATIC-O%27Shea/7e610320451e5ec09272f2e8cd82400d835ffa69 (Abruf am 30.11.2021).
16. Vgl. https://www.humanrights.ch/de/internationale-Menschenrechte/UNO-Abkommen/Pakt-I/index.html (Abruf am 26.05.2020).
17. Vgl. dazu International Council on Human Rights Policy (ICHRP, Hrsg.): Duties sans Frontières. Human rights and global social justice (2003). https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1551241 (Abruf am 25.05.2020).