1.1 Die kognitive Dimension von EDC/HRE: Lernen „über“ Demokratie und Menschenrechte

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Auf der Sekundarstufe müssen sich die Lernenden mit grundlegenden Dokumenten wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) auseinandersetzen. Im Sinne des eingangs untersuchten Beispiels müssen sie wissen, dass jede Person im Land – mit oder ohne Staatsbürgerschaft – das Recht auf Gedankenfreiheit, auf freie Meinungsäußerung und freien Zugang zu Informationen in unzensierten Medien hat; die Ausübung dieser Freiheiten kann nur durch ein Gesetz unter eng gefassten Voraussetzungen eingeschränkt werden (vgl. Art.10 Abs.2 EMRK). Die Verfassung und der Rechtsstaat sollten diese Menschenrechtsnormen widerspiegeln und schützen. Den Lernenden wird bewusst: Der Staat dient dem Menschen, nicht umgekehrt; und ohne Menschenrechte keine Demokratie.

Des Weiteren sollten die Lernenden Artikel 14 der EMRK kennen, der das elementare Prinzip der Gerechtigkeit, nämlich Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung anspricht: Frauen und Männer, Arme und Reiche, Junge und Alte, Einheimische und Zuwanderer – uns allen stehen diese Rechte zu. Das Prinzip der Gleichberechtigung für alle ist in einem andauernden Prozess erkämpft worden, der bis heute nicht abgeschlossen ist. In demokratischen Staaten, die sich zu den Menschenrechten bekennen, ist die Frage der Gleichberechtigung nach wie vor auf der politischen Agenda.

Schließlich müssen die Lernenden verstehen, weshalb Freiheiten gesetzlich geregelt werden müssen und auch mit Pflichten verbunden sind (Art. 29 AEMR). Das Recht auf freie Meinungsäußerung erlaubt es allen Bürgerinnen und Bürgern in einer pluralistischen Gesellschaft, ihre Interessen zu vertreten, und der Wettbewerb der Interessen produziert Gewinner und Verlierer. Verfassung und Gesetzgebung müssen für Rahmenbedingungen sorgen, welche die Freiheiten der Starken einschränken und die Schwachen schützen. Da man aber nicht jedes Problem mit Gesetzen und Regeln lösen kann, ist die Gesellschaft darauf angewiesen, dass ihre Mitglieder verantwortlich miteinander umgehen.

Die Menschenrechte stiften einen rechtlichen Ordnungsrahmen sowie säkulare Werte, die für die Mitglieder einer pluralistischen Gesellschaft den Minimalkonsens darstellen. Die Lernenden sollten darauf achten, inwieweit die Prinzipien der Menschenrechte innerhalb ihrer Schulgemeinschaft und in der Gesellschaft anerkannt werden.

Europäische Menschenrechtskonvention (4.11.1950)

Artikel 10
Freiheit der Meinungsäußerung

(1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Radio-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.

(2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortungen verbunden. Sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.

Artikel 14
Diskriminierungsverbot

Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (10.12.1948)
Artikel 29

1. Jeder Mensch hat Pflichten gegenüber der Gemeinschaft, in der allein die freie und volle Entwicklung seiner Persönlichkeit möglich ist.

2. Jeder Mensch ist in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen.

Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze dort, wo die Freiheit Anderer oder die Interessen der Allgemeinheit berührt werden. Die drei Menschenrechtsartikel definieren den rechtlichen Rahmen, der dieses Spannungsverhältnis ausbalancieren soll. Lernende, die erklären können, weshalb Freiheitsrechte auch Probleme schaffen, die einer fairen Lösung bedürfen, haben viel „über“ Demokratie und Menschenrechte gelernt; dies ist die kognitive Dimension von EDC/HRE.