6.2 Zum inhaltlichen Kern der Basiskonzepte

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Bei der Auswahl der Basiskonzepte ließen wir uns vom Kriterium ihres didaktischen Potenzials für EDC/HRE leiten und folgten keinem geschlossenen Theorieansatz. Nicht nur die Auswahl der Basiskonzepte variiert in der politischen Bildung, auch die inhaltliche Auslegung der Basiskonzepte ist uneinheitlich. Wir stellen unsere Lesart der Basiskonzepte zur Diskussion, und arbeiten ihre Bedeutung für EDC/HRE auf der Mikro- und der Makro-Ebene (Schule bzw. politisches Gemeinwesen) heraus, und wir weisen auf Zusammenhänge zwischen den Basiskonzepten hin.

6.2.1 Identität

Unsere Identität ist unser Selbstbild – der Mensch, für den wir uns halten. Unser Selbstbild wandelt sich mit dem Alter und den Rollen, die wir ausfüllen müssen. In der Schule und der Familie kann ein junger Mensch in seinen Rollen kaum wieder zu erkennen sein. Unsere Identität bestimmen wir zum Teil selbst, zum Teil hängt sie davon ab, wie andere uns wahrnehmen und einordnen. Das kann oft ein Problem für Minderheitengruppen in der Gesellschaft sein. In der Entwicklung eines jungen Menschen ist es ein zentrales Thema, über die eigene Identität nachzudenken sich damit auseinander zu setzen, wie Vorurteile und Stereotypen das Selbstbild beeinflussen. Junge Menschen brauchen Selbstvertrauen, um mit Problemen wie Diskriminierung und Mobbing fertig werden zu können.

Wer seine Identität gestaltet, nimmt das Freiheitsrecht wahr, seine Persönlichkeit zu entfalten. Darunter fallen im Laufe des Lebens Weichenstellungen wie die Wertorientierung, Partner- und Berufswahl sowie die Entscheidung für ein Leben mit oder ohne Kinder. Frühere Generationen waren an Familientradition und religiöse Gebote gebunden, fanden darin jedoch auch Halt und Orientierung; diese Bindungen spielen auch heute für einen Teil der Gesellschaft, insb. Zuwanderer und Geflüchtete. In einer modernen, säkularen Gesellschaft nimmt die Reichweite dieser Bindungen insgesamt ab, so Menschen mehr Freiheit in der Gestaltung ihrer Identität auch als Vereinzelung erfahren.

Das Konzept der Identität ist eng mit Pluralismus, Freiheit, Gleichberechtigung und Verantwortung verknüpft.

6.2.2 Pluralismus und Vielfalt

Moderne und freie Gesellschaften sind pluralistische Gesellschaften. Indem die Menschen ihre Freiheitsrechte wahrnehmen, bringen sie Pluralismus hervor – eine Vielfalt von Identitäten mit unterschiedlichen Lebensentwürfen, Prioritäten und Interessen, freilich auch mit ungleichen Realisierungschancen, je nach Vermögen und Einkommen. Pluralistische Gesellschaften ermöglichen größere Vielfalt unter den Menschen, jedoch auch die Ungleichheit und Konfliktpotenziale nehmen zu, u.a. je nach Geschlecht, ethnischer Herkunft, Schichtzugehörigkeit, Altersgruppe, Lerntyp, Region, Religion und Werten. Pluralistische Gesellschaften stellen eine Herausforderung dar: Auf welche Werte können die Mitglieder eines Gemeinwesens einigen? Denn die Stabilität eines Gemeinwesens, das sich zur freien Entfaltung des Einzelnen bekennt, beruht auf Voraussetzungen, die es selbst nicht garantieren kann.

Die Schule spielt eine große Rolle für die Zukunft einer pluralistischen Gesellschaft. In der Schulgemeinschaft erfahren junge Menschen Vielfalt und Heterogenität, und sie können lernen, dass der respektvolle Umgang miteinander aufbaut auf Diskussion, der Bereitschaft zum Perspektivwechsel und zum Kompromiss.

Das Konzept des Pluralismus ist eng mit den Konzepten Identität, Politik, Freiheit, Konflikte und Verantwortung verknüpft.

6.2.3 Verantwortung

Bei allem was Du tust, denke an die Folgen für andere – um dieses Prinzip geht es im Basiskonzept der Verantwortung.

Nicht alle denkbaren Konflikte und Probleme lassen sich gesetzlich regeln – es kommt auf jeden einzelnen an, Verantwortung zu übernehmen. Menschen müssen bereit sein, für die Rechte anderer einzustehen und eben auf bestimmte Freiheiten zu verzichten, wenn sie so dazu beitragen können, dass andere ihre Freiheit genießen können.

In der Schule reflektieren junge Menschen über ihre moralische und rechtliche Verantwortung, der sie sich als Mitglieder der Gesellschaft stellen müssen. Sie übernehmen Ämter und damit auch Verantwortung, um an Entscheidungsprozessen in der Schule teilzuhaben.

Freiheit schließt auch die Freiheit des Wettbewerbs ein, ohne den eine Marktwirtschaft nicht möglich ist. Wettbewerb bringt Gewinner und Verlierer hervor, unter denen Wohlstand, Bildungs- und Teilhabechancen ungleich verteilt sind. Es ist die Aufgabe des Sozialstaats, die ungleiche Verteilung zu korrigieren, doch reicht das nicht aus, und ein Staat, der das Leben der Menschen vollständig überwacht und steuert, wäre eine Gefahr und kein Segen. Es kommt also auf die Menschen an, sich um das Schicksal der Benachteiligten und Bedürftigen zu kümmern. Auch im Umgang der Mehrheit mit einer Minderheit kommt es auf das Verantwortungsbewusstsein der Mehrheit an. In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit und die Minderheit muss sich fügen. Soweit sie in der Verfassung verankert sind, ziehen Menschenrechte den Mehrheitsbeschlüssen Grenzen, um die Minderheit zu schützen. Doch auch muss die Mehrheit die Folgen ihrer Entscheidungen für die Minderheit mitbedenken, um den sozialen Zusammenhalt nicht zu bedenken.

Das Konzept der Verantwortung ist eng mit den Konzepten Freiheit, Gleichberechtigung, Identität, Gesetze sowie Konflikte verknüpft.

6.2.4 Konflikt

Meinungsverschiedenheiten, konkurrierende Bedürfnisse und Interessen sowie Konflikte verschiedener Art gehören zum menschlichen Leben, insb. in pluralistischen Gesellschaften. Viele Menschen empfinden Konflikte als schädlich, die Harmonie in der Gesellschaft zersetzen und deshalb vermieden oder sogar unterdrückt werden müssen. Es kommt jedoch auf den Umgang mit Konflikten an, ob die Gesellschaft Schaden nimmt oder nicht. In EDC/HRE sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, dass es innerhalb eines Ordnungsrahmens von Verfahrensregeln, die von einer politischen Kultur der gegenseitigen Achtung getragen sind, großen Spielraum für Dissens und Streit gibt. Individuen und Gruppen können und sollen ihre Interessen artikulieren, denn nur dann werden sie berücksichtigt. In den sich daraus ergebenden Diskussionen und Verhandlungen sollten jedoch alle Seiten sich mit Respekt begegnen und bereit sein, sich auf Kompromisse einzulassen. Ohne diese dialektische bzw. konstruktive Einstellung gegenüber den eigenen Interessen wäre kein Kompromiss möglich.

Grundsätzlich lässt sich jeder Konflikt, bei dem es letztlich einen Geldbetrag oder eine Quote geht, durch einen Kompromiss lösen. Konflikte, bei denen es um Ideologien, Werte oder gar ethnische Gruppen geht, erweisen sich, wenn überhaupt, nur als sehr schwer lösbar. Die Beteiligten müssen versuchen, den Konflikt zu entschärfen, zu entpersonalisieren und „einzuhegen“

Demokratien sind auf eine zivilisierte Streit- und Konfliktkultur angewiesen. In EDC/HRE sollten junge Menschen daher erfahren, dass Konflikte überall in der Gesellschaft entstehen können – z.B. in der Schule, am Arbeitsplatz, in politischen Gruppen oder Gremien, und sie sollten verstehen, wie sie sich sich lösen oder entschärfen lassen. In der Schulgemeinschaft können die Lernenden in der Praxis erfahren, wie man Konflikte auf konstruktive Weise löst, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen. Damit leistet EDC/HRE als Leitbild für die Schulgemeinschaft einen wichtigen Beitrag für die politi-sche Kultur der Demokratie.

Das Konzept Konflikte ist eng mit den Konzepten Pluralismus, Politik, Gesetze sowie Verantwortung verknüpft.

6.2.5 Regeln und Recht

Gesetze bilden den Ordnungsrahmen in demokratischen, an den Menschenrechten orientierten Staaten. In einer Demokratie muss grundsätzlich jeder den Gesetzen gehorchen, denn sie wurden von der Mehrheit beschlossen. Zumeist handelt es sich um die Mehrheit im Parlament, die ihr Mandat von der Mehrheit der Wählerinnen und Wähler erhalten hat, oder aber die Mehrheit im Volksentscheid. Damit Gesetze Gehorsam beanspruchen können, müssen sie die Menschenrechte achten und schützen, und sie dienen der Demokratie, indem sie einen Ordnungsrahmen und Verfahren zur fairen und effizienten Konfliktlösung und politische Entscheidungen bereitstellen.

Auch Regeln in Schulen, Vereinen, Verbänden erfüllen eine Ordnungsfunktion. In der Gesellschaft existieren geschriebene als auch ungeschriebene Regeln, die sich an Normen orientieren, die von der Gesellschaft oder innerhalb einer Gruppe geteilt werden.

Solange ein Gesetz gilt, wird von uns erwartet, dass wir es einhalten. In einer Demokratie kann die Mehrheit ein Gesetz korrigieren, falls es seinen Zweck nicht (mehr) erfüllt oder auch durch einen Impuls zivilen Ungehorsams: Bürgerinnen und Bürger verstoßen in kalkulierter Form gegen ein Gesetz, um durch ihren Protest eine Gesetzesänderung anzustoßen.

In der Schule denken junge Menschen über den Zweck von Gesetzen und Regeln nach und wie sie in Demokratien zustande kommen. Insb. müssen Schülerinnen und Schüler die Dialektik zwischen Freiheitsrechten einerseits und dem Schutz und der Einschränkung dieser Rechte durch einen Ordnungsrahmen andererseits verstehen und anerkennen lernen. Ohne einen solchen institutionellen Rahmen würde Freiheit in einen Kampf aller gegen alle umschlagen, in dem sich das Recht des Stärkeren sich durchsetzt.

Demokratien sind Rechtsstaaten, d.h. alle staatlichen Gewalten sind den Gesetzen unterworfen, und diese wiederum müssen sich daran messen lassen, dass sie die Grund- und Menschenrechte aller Menschen, die in ihrem Geltungsbereich leben, respektieren und schützen. In diesem Sinne umfasst das Basiskonzept auch das Recht als Rechtssystem.

Handlungsorientierte Lernformformen machen das Prinzip „Freiheit durch Ordnung“ in der Schule erfahrbar. Die Lernenden stellen fest, dass präzise Aufgabenstellungen, enge Zeitvorgaben und Regeln ihre Freiheit und Kreativität nicht blockieren, sondern erst ermöglichen und fördern.

Im Schulleben können die Lernenden sich daran beteiligen, die Regeln der Schulgemeinschaft weiter zu entwickeln und zu verbessern, und sie lernen dabei die Verfahren und den Prozess der Entscheidungsfindung kennen.

Das Konzept der Gesetze ist eng mit den Konzepten Konflikte, Freiheit und Gleichberechtigung verknüpft.

6.2.6 Macht und Entscheidung

Das Basiskonzept der Politik bezeichnet den Prozess, in dem Menschen entscheiden, wie sie ihr Zusammenleben gestalten wollen – sei es in einer Familie, Schule oder Nation. In EDC/HRE umfasst das Basiskonzept Politik also im engeren und im weiteren Sinne. Mit Politik im engeren Sinne hängt das politische System zusammen, das z.B. demokratisch oder autokratisch geprägt sein kann. Auch Demokratien unterscheiden sich von einander deutlich . In einer Demokratie sind alle Bürger gleichermaßen berechtigt, sich an politischen Auseinandersetzungen und Entscheidungen zu beteiligen. Entscheidungen werden durch Abstimmungen getroffen, in denen der Wille der Mehrheit den Ausschlag gibt.

Das Politikzyklus-Modell (siehe oben, Teil 1, Einheit 1) lässt sich bei Entscheidungsprozessen sowohl auf der Mikro- als auch auf der Makroebene anwenden, d.h. sowohl mit Bezug auf die Familie oder Schulgemeinschaft als auch auf das politische Gemeinwesen (auf regionaler oder nationaler Ebene) als Ganzes. Bei der Überwachung von politischen Entscheidungsträgern, aber auch bei der Gestaltung der politischen Agenda spielen die Medien eine entscheidende Rolle. Dasselbe gilt auch für Schulen, wie die Einheiten zum Thema Medien in den drei stufenspezifischen Handbüchern (Bände II–IV) zeigen.

Politik weist zwei Dimensionen auf – eine formelle bzw. institutionelle sowie eine informelle Dimension. Auf der Mikroebene (Schule) sowie der Makroebene (Staat) findet die Kommunikation zwischen den Akteuren zu einem wesentlichen Teil außerhalb öffentlicher und offizieller Verhandlungen statt, sondern z.B. auf dem Schulkorridor oder im Lehrerzimmer, auf der Straße, im Restaurant, über das Smartphone und in nichtöffentlichen Zusammenkünften. Ohne diese zweite, informelle Dimension – die sich allerdings der Kontrolle der Öffentlichkeit entzieht – wäre Politik außerstande, die anstehenden Probleme und Konflikte zu regeln.

In der Schule denken junge Menschen über verschiedene politische und demokratische Systeme nach, und sie sollen verstehen, wie Entscheidungen in ihrer Schule und Gesellschaft getroffen werden. Demokratische Schulführung bietet den jungen Menschen die Chance praktisch zu erfahren, wie sie Entscheidungsprozesse beeinflussen und mitgestalten können.

Das Konzept der Politik ist eng mit den Konzepten Konflikte, Gesetze, Verantwortung und Medien verknüpft.

6.2.7 und 6.2.8 Gleichberechtigung, Recht und Freiheit

Das Basiskonzept der Freiheitsrechte unterscheidet zwischen Freiheit von etwas und Freiheit zu etwas. Freiheit „von“ bezeichnet Schutzrechte, z.B. durch das Recht auf Leben, das Sklaverei- und Folterverbot, Recht auf Leben, Schutz der Familie und der Wohnung. Freiheit „zu“ bezeichnet qualifizierte Freiheitsrechte, d.h. etwas Bestimmtes zu tun, z.B. Wahlrecht, Bewegungsfreiheit, freie Berufswahl, Meinungs- und Pressefreiheit. Schutzrechte gelten absolut, ohne wenn und aber, jedoch können qualifizierte Rechte durch ein Gesetz oder Gerichtsurteil eingeschränkt werden. Beispielsweise kann die Ausübung des Demonstrationsrechts eingeschränkt werden, um die Sicherheit aller Bürger zu gewährleisten. Da der Ausgleich zwischen Gleichheitsrechten und qualifizierten Freiheitsrechten eine besondere Herausforderung ist, werden diese beiden Basiskonzepte werden hier gemeinsam behandelt.

Menschen werden gleich geboren, mit den gleichen Grundbedürfnissen und Wünschen. Wir allen wollen in Sicherheit leben, geachtet werden und frei entscheiden dürfen. Aus diesem Grunde gelten die Menschenrechte und die Grundfreiheiten gleichermaßen für alle

Menschen. Gleichberechtigung bedeutet jedoch nicht alle gleich, sondern Ungleiches auch ungleich zu behandeln. Es wäre z.B. unfair von einem Rollstuhlfahrer zu verlangen, dass er eine Treppe benutzen soll wie andere auch, wohl ist es fair, in einer Prüfungen allen Lernenden die gleichen Aufgaben zu stellen.

Die Menschenwürde macht den Kern der Menschenrechte aus, und in der Praxis muss diese Leitidee konkretisiert und gewissermaßen kleingearbeitet werden, damit sie realisiert werden kann. Ein wichtiger Ansatz konkretisiert Menschenwürde durch Gerechtigkeit, die wiederum durch die elementaren Prinzipien der Freiheit und Gleichberechtigung konkretisiert wird.

Wie oben schon am Beispiel des Demonstrationsrechts gezeigt wurde, müssen qualifizierte Freiheitsrechte („Freiheit zu etwas“) mitunter eingeschränkt werden. Beschränkungen qualifizierter Freiheitsrechte sind jedoch auch deswegen notwendig, weil zwischen Freiheit und Gleichberechtigung ein unauflösbares Spannungsverhältnis entsteht. Dazu einige Beispiele:

  • Im Straßenverkehr nehmen alle Verkehrsteilnehmer ihr Recht auf Bewegungsfreiheit wahr. Um die Sicherheit und die Bewegungsfreiheit aller Verkehrsteilnehmer zu garantieren, ist der motorisierte Straßenverkehr einem ganzen System von Regulierungen und Beschränkungen unterworfen.
  • In EDC/HRE steht jeder Schülerin und jedem Schüler das Recht auf freie Meinungsäußerung zu, doch um dieses Recht für alle zu sichern, müssen die Lernenden Einschränkungen ihrer Redezeit hinnehmen und Kompetenzen entwickeln, sich knapp und klar auszudrücken.
  • Zu den qualifizierten Freiheitsrechten gehört die unternehmerische Freiheit, und mit ihr der Wettbewerb auf allen Märkten – auch dem Arbeitsmarkt – der dazu führt, dass es Reiche und Arme, Wohlstand und Arbeitslosigkeit gibt. Es entstehen ungleiche, teils auch menschenunwürdige Lebensverhältnisse für die Menschen. Um die Menschenwürde aller zu schützen, muss der Staat die unternehmerische Freiheit einschränken und Wohlstand durch Steuern und Abgaben umverteilen. An der Frage, in welchem Umfang dies geschehen soll, scheiden sich politische Parteien je nach den Interessen, die sie vertreten.
  • Die Behindertenrechtskonvention fordert mit Nachdruck, dass allen Kindern ein gleichberechtigter Zugang zu einer optimalen Bildung eröffnet wird (Inklusion).

In der Schule denken junge Menschen über die absolute Schutzrechte und qualifizierte Freiheitsrechte nach, und sie erlernen Möglichkeiten, die gemeinsame Wahrnehmung diese ins Gleichgewicht zu bringen. Schülerinnen und Schüler müssen die Ausübung ihrer Freiheitsrechte, wie z.B. des Rechts auf Gedankenfreiheit, auf freie Meinungsäußerung und auf freien Zugang zu Informationen, in der Schule erlernen, indem sie sie wahrnehmen.

Die Schülerinnen und Schüler analysieren Probleme der Gleichbehandlung und Diskriminierung im Alltagsleben. Sie verstehen, dass Gleichberechtigung in der Praxis sowohl bedeuten kann, alle Menschen gleich als auch teilweise ungleich zu behandeln. Sie müssen auch lernen, sich gegen Diskriminierung zu wehren, die sie selbst oder andere betrifft.

Die Lehrperson leistet einen wichtigen Beitrag, um derartige Lernprozesse zu unterstützen, indem sie den Lernenden geeignete –handlungsorientierte und problemorientierte – Aufgaben stellt. Im Schulleben müssen ihnen Chancen zur Teilhabe und zur Reflexion ihrer Erfahrungen gegeben werden. Das Prinzip der Gleichberechtigung spielt im Schulleben eine zentrale Rolle und verlangt von Lehrpersonen und Schulleitung, alle Schüler gleich zu behandeln (Prüfungsanforderungen, Notengebung) als auch ungleich (Inklusion, Umgang mit Heterogenität). Mit Hilfe des Basiskonzepts der Gleichberechtigung können die Lernenden ihre Schulerfahrung reflektieren (lernen durch bzw. über Menschenrechte).

Die Basiskonzepte der Freiheit und Gleichberechtigung sind – ebenso wie das Demokratiekonzept –mit allen anderen Basiskonzepten verknüpft. In EDC/HRE ist jedes Thema von diesen Konzepten berührt: sie stehen für die Menschenwürde, und ihr Spannungsverhältnis bleibt eine ständige Herausforderung.

6.2.9 Medien und Öffentlichkeit

“Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

Dieser Menschenrechtsartikel hebt hervor, dass Bürgerinnen und Bürger auf freie Medien angewiesen sind, um Informationen und Ideen aufnehmen zu können. Ohne diese können sie sich kein Bild von der Wirklichkeit machen und zu keinem reflektierten Urteil gelangen. Informiertheit und Urteilsbildung sind jedoch die Voraussetzung, um das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wahrzunehmen, an öffentlichen Auseinandersetzungen und politischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben und Entscheidungsträger zur Rechenschaft zu ziehen (Herrschaftskontrolle). Das Menschenrecht auf Meinungs- und freie Mediennutzung schließt die Pressefreiheit (Zensurverbot) mit ein. Mit dem Menschenrechtsartikel der Meinungs- und Medienfreiheit steht und fällt die Demokratie. Der Menschenrechtsartikel von 1948 spricht von „Medien jeder Art“, schließt also gedruckte Medien, Rundfunk und Fernsehen, Bildproduktion usw. ein und ist zugleich offen für die Technologiesprünge und Umbrüche der Medienkultur – Internet, soziale Medien – , die wir heute und in Zukunft erleben werden.

Das Basiskonzept der Medien greift unsere Erfahrung auf, dass wir in einer modernen Gesellschaft in einer Medienkultur leben. Je komplexer unsere Gesellschaften und die Strukturen der globalen Verflechtung werden und je schwerer aktuelle und künftiger Herausforderungen zu verstehen sind, desto mehr verlassen wir uns auf die Medien – nicht nur als Informationsquelle, sondern zunehmend auch als Quelle der Urteile, die wir übernehmen. Klassische Print- und Rundfunkmedien verbreiten Nachrichten und Informationen. Leserinnen, Hörer und Zuschauerinnen war die Rezipientenrolle zugewiesen. Feedbacks und Meinungsäußerungen sind in beschränktem Umfang, z.B. als Leserbrief, möglich. Digital basierte Netzwerke und Kommunikationsplattformen ermöglichen es dagegen allen Nutzern und Nutzerinnen, in die Autorenrolle zu schlüpfen und eigene Beiträge, Meinungsäußerungen, Kommentare, Informationen usw. zu posten. Neben die politische Öffentlichkeit, die von den klassischen Medien konstituiert wird, tritt eine Vielfalt von digital basierten Teilöffentlichkeiten unterschiedlicher Reichweite. Die Folgen dieser Entwicklung für demokratische Gesellschaften sind ambivalent und stellen EDC/HRE vor neue Aufgaben.

Die Medien sind eine Herausforderung – sie eröffnen neue Chancen und Mittel zur Kommunikation und Partizipation, aber auch zur Manipulation, für organisierte Kriminalität und transnationalen Terrorismus. Medien sind kommerzielle Unternehmen, die nach dem Prinzip des „telling and selling“ Informationen verbreiten und zugleich eine Botschaft vermitteln wollen. Allein durch die Auswahl und Gewichtung der Informationen steuern Medien die Wahrnehmung ihrer Nutzer.

Der angemessene Umgang mit Medien ist daher eine Schlüsselkompetenz in modernen, demokratisch verfassten Gesellschaften. In der Schule setzen sich junge Menschen daher mit der Arbeitsweise der Medien in ihrer Gesellschaft auseinander und untersuchen die Interessen der Medienbetreiber, insb. der sozialen Medien (z.B. Platzierung von Werbung, Verwertung der Nutzerdaten). Sie trainieren die Kodierung von Nachrichten ebenso ihre Dechiffrierung. Sie müssen über Kompetenzen verfügen, um die Quellen und die Glaubwürdigkeit von Informationen aus dem Internet zu überprüfen. Medienkompetenz ist grundlegend für EDC/HRE, jedoch auch für die schulische Bildung und Wissenschaftspropädeutik insgesamt.

Lehrpersonen und Eltern sollten sich bewusst machen, dass die Generation ihrer Kinder bzw. Schülerinnen und Schüler ihnen in ihrer digital Mediennutzung und der Vertrautheit mit neuen Medien vielfach überlegen ist. Das Gespräch über die Chancen und Probleme in der Nutzung digitaler Medien und Kommunikationsnetzwerke sollte also auf Augenhöhe stattfinden.

Das Basiskonzept der Medien ist eng mit den Konzepten Politik, Identität und Verantwortung verknüpft.