Sequenz 2: Warum sollten Menschen das Gesetz befolgen?

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Kann es einen Grund geben, dem Gesetz nicht zu gehorchen?

Ziele

Die Lernenden verstehen die Verantwortung, die sich aus dem Gehorsamsanspruch des Gesetzes ergibt.

Die Lernenden können moralische und gesetzliche Verpflichtungen voneinander abgrenzen und verstehen, dass sich aus dem Spannungsverhältnis zwischen ihnen Dilemmata ergeben können.

Aufgaben Die Lernenden analysieren ein moralisches Dilemma.
Sie überprüfen die Gründe, dem Gesetz zu gehorchen.

Sie beschreiben und diskutieren Situationen, in denen moralische Verpflichtungen die Pflicht überwiegt, das Gesetz zu befolgen.

Medien und Hilfsmittel

Handout 6.2 „Schmitts Dilemma“ (Klassensatz)

Flipcharts in Papierstreifen zerschnitten, Marker, Magnethafter oder Klebestreifen

Wandtafel

Methoden

Einzelarbeit, Partnerarbeit, Plenumsdiskussion

Induktives Analyseverfahren, Lehrervortrag

Basiskonzepte

Ein Gesetz ist eine verbindliche, schriftlich fixierte Regelung, die in einer Demokratie von einem dazu befugten kommunalen oder nationalen Parlament (Legislative) beschlossen wurde.

Rechtsstaat: In demokratisch regierten Gesellschaften sind Regierungen, Parlamente und Gerichte, also die drei Staatsgewalten, dem Gesetz des Landes unterworfen. Die Macht der gesetzgebenden und ausführenden Gewalt wird in einem demokratisch legitimierten Verfahren, das in der Landesverfassung festgelegt ist, auf Zeit vergeben; keiner ergreift sie gewaltsam oder mit kriegerischen Mitteln. Die Bürger und Bürgerinnen sind grundsätzlich verpflichtet, das Gesetz zu befolgen, weil der Gehorsamsanspruch des Gesetzes durch den Willen der Mehrheit und das Gesetzgebungsverfahren demokratisch legitimiert ist.

Gesetzliche Verpflichtung: Die Verpflichtungen, die sich Menschen durch das Gesetz auferlegt haben.

Moralische Verpflichtung: Dieser Begriff bezeichnet die Verpflichtungen, die sich Menschen selbst auferlegt haben aufgrund ihrer Überzeugungen, was sie für richtig oder falsch halten.

Verlauf der Sequenz

Die Lehrperson liest die Geschichte „Schmitts Dilemma“ vor (siehe Handout 6.2). Anschließend gibt sie den Lernenden den Auftrag, in Zweiergruppen zu diskutieren, ob Schmitt gegen das Gesetz verstoßen und das Geld stehlen soll oder nicht. Während die Lernenden arbeiten bereitet die Lehrperson die Auswertung im Plenum vor. Sie schriebt zwei Überschriften an die Wandtafel, welche die möglichen Optionen benennen:

  • Schmitt sollte das Geld stehlen, weil…
  • Schmitt sollte das Geld nicht stehlen, weil…

Im Plenum tragen votieren die Lernenden für eine der beiden Optionen und begründen ihre Entscheidung. So könnte etwa das folgende Tafelbild entstehen:

  • Er sollte das Geld stehlen, weil das Leben seiner Tochter wichtiger ist als das Gesetz gegen Diebstahl;
  • Er sollte das Geld nicht stehlen, weil dabei erwischt werden könnte;
  • Er sollte nicht stehlen, weil es falsch ist, das Gesetz zu brechen.

Die verschiedenen Optionen werden in der Klasse diskutiert. Warum fallen sie kontrovers aus? Sind manche Argumente plausibler als andere?

Im nächsten Schritt bittet die Lehrperson die Lernenden, in Einzelarbeit den folgenden Satz zu vervollständigen:

„Es ist grundsätzlich falsch, das Gesetz zu übertreten, denn …“

Als Alterative bietet sich der Impuls an, möglichst viele Gründe zu nennen, die gegen die Übertretung des Gesetzes sprechen. Bei beiden Varianten beschriften die Lernenden Papierstreifen mit einem Marker, die sie in der Auswertung präsentieren und mit Klebestreifen oder Magnethaftern an der Tafel befestigen.

Folgende Aussagen sind typisch für diese Fragestellung:

  • Man könnte dabei erwischt und bestraft werden.
  • Das Gesetz schützt die Menschen vor Schaden und es ist falsch, anderen Menschen zu schaden.
  • Jeder würde sich so verhalten, wie er wollte, wenn das Gesetz ihn nicht stoppen würde.
  • Das Übertreten von Gesetzen untergräbt das Vertrauen zwischen den Menschen.
  • Die Gesellschaft braucht Recht und Ordnung, um zu überleben; ohne Gesetze würde das Chaos ausbrechen.
  • Das Übertreten von Gesetzen verletzt die Rechte von einzelnen Menschen, wie zum Beispiel das Recht auf Eigentum oder auf Leben.

Die Lehrperson demonstriert der Klasse anhand der Schülerbeiträge, dass Menschen aus verschiedenen Gründen dem Gesetz gehorchen. Einige beruhen auf Eigeninteresse, andere auf Rücksicht gegenüber anderen Menschen. Wieder andere Gründe orientieren sich am Gemeinwohl der Gesellschaft.

Um diese Konzepte zu veranschaulichen, kann die Lehrperson drei konzentrische Kreise an die Tafel zeichnen und diese von innen nach außen mit „Ich“, „Andere“ und „Gesellschaft“ beschriften. Im Lehrgespräch werden die verschiedenen Begründungen den entsprechenden Konzepten zugeordnet und die Papierstreifen an der Tafel entsprechend in das Kreismodell bewegt.

Die Lehrperson betont, dass Gesetzesgehorsam nicht notwendigerweise einen „guten Bürger“ auszeichnet. Vielmehr begehen Menschen häufig Missetaten, die das Gesetz befolgt und „nur ihre Pflicht“ getan haben. Die Geschichte von Schmitt zeigt demgegenüber, dass sogar gute Menschen gelegentlich in Betracht ziehen müssen, gegen ein Gesetz aus moralisch guten Gründen zu verstoßen.

Um die Lernenden zu unterstützen, die schwierige Balance zwischen gesetzlichen Verpflichtungen und moralischer Verantwortung zu verstehen, fordert die Lehrperson sie auf, in Einzel- oder Partnerarbeit Kurzgeschichten zu schreiben, in denen Menschen aus guten Gründen erwägen, das Gesetz zu brechen. Mögliche Beispiele könnten das Übertreten eines Tempolimits in einem Notfall sein oder Widerstand gegen ein Gesetz, das jemanden schlecht oder ungerecht erscheint; die Lernenden können hier auch historische Erfahrungen aufgreifen, z.B. den Widerstand gegen die NS-Diktatur.

Im Abschlussplenum lesen einige Lernende ihre Geschichte vor und stellen sie zur Diskussion. Die Lehrperson formuliert anhand der Schülerbeiträge das Erkenntnisziel der Sequenz: die Unterscheidung zwischen einer moralischen Verantwortung, die Menschen auf Grund ihrer Werte- und Glaubensüberzeugen auf sich nehmen, und der gesetzlichen Verpflichtung, die vom Staat auferlegt wird. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Polen, kann Bürger und Bürgerinnen veranlassen, Gesetze zu kritisieren und sich dafür einzusetzen, sie zu verändern. Einzelne Bürger und Bürgerinnen werden sich sogar entscheiden, ein Gesetz aus moralischen Gründen zu brechen, wie viele Beispiele aus der Geschichte zeigen. Die Lehrperson sollte dies mit Beispielen veranschaulichen, die den Schülern vertraut sind. Sie betont, dass jeder Gesetzesverstoß kritisch überprüft muss, da er das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gefährden kann, auf die eine stabile Demokratie angewiesen ist.

Anmerkung

Das in dieser Sequenz präsentierte moralische Dilemma ist eine Variante des bekannten „Heinz-Dilemmas“, das der amerikanische Psychologe Lawrence Kohlberg in den 1950er Jahren entworfen hat. Es gehört zu einer Reihe von Dilemmata, die Kohlberg und sein Team einer Gruppe von jungen Menschen im Alter zwischen 10 und 25 Jahren vorlegte. Er stellte fest, dass kleinere Kinder in der Regel dazu tendierten, in ichbezogenen Kategorien zu denken. In der frühen Adoleszenzphase gingen sie tendenziell zu personenzentrierten Denkmustern über. In der mittleren Adoleszenzphase zeigten die meisten Probanden eine Progression zu gesellschaftsorientierten Kategorien. Freilich zeigte sich auch, dass der Kontext und die konkrete Dilemmasituation die Denkweise eines Menschen in jedem Alter beeinflussen kann. Es zeigt sich, dass jüngere Kinder Regeln und Gesetze eher starr betrachten – und zwar nicht aufgrund des sozialen Zwecks, sondern aufgrund der Autorität der Regelsetzer oder Gesetzgeber. In der Adoleszenz sind sich junge Menschen eher bewusst, dass Gesetze einen sozialen Zweck erfüllen, der aber überdacht, hinterfragt und als moralisch falsch oder unfair kritisiert werden kann.